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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Triumphzug eines Romans (bis heute mehr als vier Millionen Auflage), den Hans Magnus Enzensberger «Wilhelm Meister, auf Blech getrommelt» nennt.
    Es beginnt aber zugleich, was den rasch weltberühmten Grass – dem so unterschiedliche Schriftsteller wie García Márquez, Nadine Gordimer oder Salman Rushdie bescheinigen werden, von ihm gelernt zu haben – sein Leben lang verfolgen wird: erboste Angriffe, Denunziationen, Haß. Neben Band  1 des Wörterbuchs der Preisungen – «unbändige Vitalität», «poetische Kraft», «Genialität der Erfindung», «erzählerisches Naturtalent», «Genie der Fabulierkunst» – ließe sich als Band  2 ein ebenso pralles Lexikon der Schmähungen stellen: «trübe Schmutzflut», «Freude am Sexualpathologischen», «ekelerregende Fäkalienphantasie», «sadistische Wollust» und «bedenkenlos-obszöne Angriffe auf die Kirche», schallt es aus FAZ , ZEIT , «Christ und Welt».
    Von jetzt an ist Günter Grass ein Erfolgsautor und ein Skandalautor. Allein mit seinem Portrait als Titelbild internationaler illustrierter Blätter könnte man ein Zimmer tapezieren; die Rezensionen seiner Bücher füllen mehrere hundert Leitzordner. Doch ob man ihm nachsagt, er sei publicitygeil, oder ob man 1968 in Berlin den Kritiker der Studenten«revolte» bei aufgedrehtem Licht aus einem Theater weisen will; ob man ihm in den Mund legt, er sei als Gleicher zu Gleichem wegen Thomas Mann nach Lübeck gezogen, oder ob der «Spiegel» ihm bis nach Kalkutta eine Art Spion ins Nachbarhaus pflanzt: Kein Mittel ist zu mesquin, Günter Grass zu attackieren.
    Eine hübsche, gar nicht so kleine Anthologie der Schmähungen würde genug Schneidendes auch von Kollegen enthalten, von Wolf Biermann bis Peter Weiss, der nicht nur bei der Berliner «Marat»-Premiere beleidigt in seinem Tagebuch notiert, Grass sei «in der Pause böse an mir vorbei. Nahm mir das Stück übel», sondern sich auch noch zehn Jahre später empört: «Grass (unter andern): weil sie meine politische Einstellung ablehnen, lehnen sie auch meine literarischen Arbeiten ab.»
    Lassen wir mal den branchenüblichen Neid und Friedrich Sieburgs lockeres Diktum, wer nicht unter Literaten gelebt habe, wisse nicht, was Haß ist, beiseite. Trotzdem bleibt die Frage: Warum so viel Haß auf Grass?
    *
    Ein Mann, der den Zierat nicht braucht
    Ein Geburtstagsgruß
    Die Tinte wird dick, will man noch einmal über Günter Grass schreiben, den
primus inter Pares
der deutschen Nachkriegsliteratur; Arbeiten über ihn – Interpretationen, Angriffe, Lobpreisungen wie üble Nachrede – füllten, würden sie zusammengefaßt, weitaus mehr Bände als sein Werk.
    Es ist also alles gesagt? Nicht ganz und nicht alles. Ich will versuchen, die Figura zu zeichnen, die hinter diesem großmächtigen Schaffen von Gedicht, Prosa und bildender Kunst steht; nicht den Mann, der Säle füllt, Radioprogramme und Fernsehsendungen. Den Günter Grass, der – vom Rummel befreit – viele Abende (mit Ute) allein seinen Rotwein trinkt, Pfeife raucht, nur einen Gast zum Gespräch; oft wochenlang «in die Pilze geht». Den Kollegen also. Seltsam, wie der zu verschwinden droht hinter dem Blitzlichtgewitter einer abziehbildgierigen Öffentlichkeit. Günter Grass nämlich war – und ist – ein anteilnehmender Kollege, ein Schriftsteller, dem Leben und Arbeit anderer Autoren wichtig sind. Meßbares Indiz dafür ist, wieviel von seinem Vermögen er verschenkt hat; immer an die schreibende Zunft: ein Haus für Schriftsteller; Stipendien; Förderpreise. Es fiele schwer, einen anderen Künstler zu benennen, der den Begriff von Teilnahme und Verantwortung so mit Leben erfüllt hat. Der Marxist Brecht hat sein Geld, die Revenuen aus seinem geldklingelnden Urheberrecht, familiär vererbt wie eine Vorstadtapotheke.
    Nun kenne ich Grass seit etwa vier Jahrzehnten – eine schwierige, belastbare, nie unstrittige Freundschaft –, und ich kann bezeugen, wie oft und wie leise er geholfen hat. Einen unbekannten Autor machte er bekannt, einem ohne Verlag verhalf er zur Publikation, einen in der Krise hat er ermutigt. Nicht nur ist er ein gerecht Lesender, dessen Neugier und Kunstverstand sich durchaus öffnen wollen fremder Arbeit – der Arbeit von Hubert Fichte wie der von Johannes Bobrowski oder von Heißenbüttel, Schreibtemperamenten weit weg von dem seinen. So horchte man stets auf, wenn er sich die Tarnkappe des Kritikers überzog, bei den Tagungen der Gruppe  47 das Wort ergriff:

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