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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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nicht im Krankenhaus liegen, denn ich brauche sie.» Mal darf die eine nicht am Mittagstisch Platz nehmen, mal muß die andere im Garten in einem Zelt kampieren, mal reist er mit allen dreien (Margarete Steffin, Ruth Berlau und Helene Weigel). Als Käthe Reichel einen Selbstmordversuch unternimmt, war er «bestürzt und gekränkt».
    Die Frau also ein «Mittel»; das kann sie sein als asexuelle Mutter, als weiblicher Körper, als Mitarbeiter, als politischer Hoffnungsträger – manchmal (zum Beispiel in der DDR , wo Brecht kaum Kontakt zur Außenwelt hatte) als Zeitungsersatz. Präzise analysiert Carl Pietzcker:
    Aber der Liebende, der bei ihr Wärme sucht, gerät in «unangenehme Zustände», «in zusammenhanglose Träumereien», er verliert die Kontrolle, denn hinter dem guten droht das böse Objekt aufzutauchen. Sind die Frauen «vollgesogen», singt Baal, «wie Schwämme mit Liebe, dann werden sie wieder Tiere, bös und kindisch, unförmig mit dicken Bäuchen und fließenden Brüsten und mit feuchtklammernden Armen wie schleimige Polypen».
    Dem, der das böse Omen liebt, droht der Untergang. Das hat Brecht besonders in der Verschiebung auf homosexuelle Beziehungen ausphantasiert; an der Liebe seines Bargan zum Beispiel, der «nur weil er etwas haben wollte, dem er nützen konnte, sich an diesen Aussatz gehängt hatte und alles sein ließ für ihn und wohl noch froh war, daß es kein guter Mann war, den er liebte, sondern ein böses gefräßiges Kind, das ihn ausschlürfte wie ein rohes Ei, mit einem einzigen Zug: so konnte es jedem von uns gehen, mitten im Licht wurde man überfallen, so unsicher sind wir alle auf diesem Stern.» Den in der Liebe drohenden Umschlag in solch ein zerstörerisch fressendes Objekt gilt es zu meiden.
    *
    Vervielfachung und Kühle
    Über die Tagebücher Brechts
    Wie eine – paradoxe, weil «vorweggenommene» – Zusammenfassung seines Lebens lesen sich Brechts Tagebücher der Jahre 1920 bis 1922 . Es ist eine Prosa wie Eisblumen, zu deren Entstehen es bekanntlich einiger Kälte bedarf. Und die, kommt man ihnen zu nahe, zerstört werden. Diese Brecht-Notate zu Brecht sind beides zugleich: Annäherung und Entfernung. Sie atmen etwas Schwebendes, Dünnes, Gläsernes. Ein junger Mann, der im Schlafzimmer einen Gipsabguß seines eigenen Gesichts hängen hat und der dies Gesicht gleichzeitig «ein kreditiertes Versprechen» nennt; der, hat er Kopfweh, fragt: «Wer ist das, der da Kopfweh hat?» Eine ständige Spannung zwischen Sprödigkeit und Güte, nachtschwarzer Einsamkeit und glimmendem Hoffen, Hohn, Haß und Freundlichkeit. Texte gleich Brechts großen Gedichten. Die dramaturgische Vivisektion des eigenen Lebens – und, wie eine haarfeine Nadel jede Erschütterung anzeigend, der eigenen Kunstleistung. Noch sehr viel eindringlicher als im «Arbeitsjournal» – weil vorsichtiger, witternder – offenbart sich in diesen frühen Aufzeichnungen die hautenge Dialektik zwischen Brechts Lebens- und Kunstbegriff. Es gibt einen einzigen Satz, der in diesen Notizen zweimal auftaucht, gleichsam die Achse des Buches: Meier-Graefes Diktum über Delacroix, bei ihm habe ein heißes Herz in einem kalten Menschen geschlagen. «Und das ist im Wesentlichen eine Möglichkeit der Größe», heißt Brechts Kommentar. Das klingt, zumal gefolgt von einem Beschwören der Ethik der
Technik
in der Kunst, wie ein Bekenntnis – scheinbar; denn dieser Gestus des Entzingelns statt sich zu umzingeln, der Entfernung statt Annäherung, des kühlen Reservats durchzieht das Buch. Einerseits. Und andererseits eine Haltung großer Trauer. Sie ist es, aus der Brechts Kunst entsteht. Es bleibt wie unnütze Tage, «leer ausgespieene Pflaumenhäute». Es bleibt wie bei dem Grau der Vergeblichkeit. Es führt, immer wieder und immer neu errungen, zu etwas, das sich wohl nur im Paradoxen begreifen läßt: Ratio des Gefühls, Betroffenheit des Hirns. Jener Verkrochenheit ins Vergebliche – «Es gibt keine Sprache, die jeder versteht. Es gibt kein Geschoß, das ins Ziel trifft» – steht eine Traurigkeit entgegen, die produziert; eine positive Trauer:
    Man hat seine eigene Wäsche, wäscht sie mitunter. Man hat nicht seine eigenen Wörter, und man wäscht sie nie. Am Anfang war nicht das Wort. Das Wort ist am Ende.
Es ist die Leiche des Dinges.
Was ist der Mensch für ein merkwürdiges Geschöpf! Wie er Dinge in seinem Leib tut, in Regen und Wind herumtrabt, aus Menschen junge kleine Menschlein macht, indem er mit

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