Stahlstiche
sehr leise, sehr genau urteilend; verurteilend habe ich ihn nie erlebt. Es sprach der Handwerker vom Handwerk.
Wenn jedoch von Grass und der Gruppe 47 zu berichten ist – und es sollen nun nicht die wilden Feste heraufbeschworen werden, bei denen mehr als Wasser getrunken wurde –, darf daran erinnert werden: Nie hat der anfangs arme und unbekannte Günter Grass vergessen, was er dieser Mischung aus Club und Klüngel zu verdanken hat. Vornweg dem moderaten Regisseur Hans Werner Richter, der nie den Tambourmajor geben wollte. Zeitlebens hat Grass ihm die Treue gehalten; hat seinem hochgeachteten
copain
mit dem schönen Blatt «Heinrich Bölls Schreibmaschine» die Reverenz erwiesen; hat sich trotz dessen kaktusstachliger Widersetzlichkeit nie abgewandt von Uwe Johnson, die Ehre des schreibenden Antipoden bis über den Tod hinaus verteidigt. Selbst eine aggressive Mimose, hat Grass die Zornvulkane des von ihm bewunderten Romanciers mit geradezu liebevoller Geduld über sich und andere speien lassen.
Wen er schätzt – und das heißt bei Grass immer: wessen Arbeit er schätzt –, den nimmt er gar vor sich selbst in Schutz; der kann Martin Walser heißen oder Hans Magnus Enzensberger, die drei einander gewiß keine Groupies. Ich weiß, wovon ich spreche. Unsere Freundschaft begann mit einem Streit, mit meiner wilden Attacke auf sein Stück «Die Plebejer proben den Aufstand», in dem ich seinerzeit weniger eine gültige Parabel über die Verwucherungen politischer Moral sah als eine Verunglimpfung des mir – damals – fast sakrosankten Bertolt Brecht.
Recht betrachtet, blieb eigentlich Streit das Bindemittel dieser Beziehung: Sowenig er akzeptieren mochte, daß ich als Herausgeber der Taschenbuchreihe rororo-aktuell Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit verlegte, sowenig verstand ich seine Dreingabe als politischer Redenschreiber. So taten wir über die Jahre hinweg viel gemeinsam Gegensätzliches.
Wie schade: Eine Zeitung kann man zwar rollen, sie ergibt aber kein Kaleidoskop; in dem sähe man die vielfarbigen Gläser spitz, schräg, glattkantig, gezackt ineinanderstürzen, jede Drehung ein anderes Portrait – grantig und freundlich, jäh und milde, verächtlich und verstehend, mal großspurig, mal großmütig. Günter Grass, ein ganz einheitlicher Mensch? Das glaube ich eigentlich nicht. Aus dem Uneinheitlichen, den Schründen und Klüften, wächst ja das Verstörende. Kunst. Die zu feiern, also ihn, ist wieder einmal Anlaß.
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Scham und Schande
Rede über die Calcutta-Blätter
Jedes Kunstwerk hat eine eigene Farbe. Wenn Sie an Matisse denken, denken Sie an Blau, wenn Sie an Franz Marc denken, an Rot, was natürlich nicht heißt, daß alle Bilder von Matisse blau und alle Bilder von Franz Marc rot sind. Aber ein farblicher Grundtenor, ein Grundmotiv herrschen vor: wie bei Chagall das erschreckende, fromme, betende Weiß.
Beim Günter-Grass-Zyklus, von dem wir heute noch einmal Kenntnis nehmen und zu dem ich ein paar Worte sagen möchte, ist es das Schwarz. Und zwar nicht nur, weil die Blätter vor allen Dingen schwarz gemalt sind, sondern weil der Impetus seines Zeichnens schwarz ist. Die ersten Zeilen des großen Gedichts, das ja Bestandteil dieser Calcutta-Arbeit ist; es ist eine Art – heute sagt man modisch: Gesamtkunstwerk, zu dem auch der Prosateil des Buches gehört, das erste Wort dieses Gedichts lautet: Schwarz. «Schwarz ist die Göttin. Fledermäuse lösen sich schwarz aus Bäumen, die schwarz vorm Mond stehen.»
Das ist nicht nur poetische Metapher, sondern das ist Hereinholen von Wirklichkeit. «Zunge zeigen», heißt ja, wie ich übrigens auch erst durch diese Arbeit von Günter Grass gelernt habe, ein Zeichen von Scham. Nun ist das fast Raffinierte an Grass’ Arbeit in diesem Fall, daß er Scham umwendet in Schande. Scham ist ja eigentlich ein passivischer Begriff. Grass schafft es mit einer dialektischen Volte, das Umdrehen von Scham in Schande, nämlich die Schande der anderen, die Schande der Täter. Das heißt: Zorn und Trauer. Nicht nur Trauer, sondern Zorn bis zum Aggressiven hin. Diese Menschen, die er uns zeigt, sind einander abhanden gekommen, und das hat irgend jemand getan, und nicht zufällig sehen Sie auf vielen der Blätter im Hintergrund einen Schornstein, in Industrie-Unternehmen.
Hier ist Menschen, die
prima vista
Müll sind, etwas angetan worden, sie sind zu Müll gemacht worden, und es ist deutlich zu sehen, durch wen: die Spuren des Kolonialismus. Wenn
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