Stahlstiche
erfassen kann, offensichtlich der Leser ist.»
Es war auch eine Freiheit, intellektuell zu töten, um sich selber zu gebären. In einem zeremoniösen Tanzschritt des Umgarnens verpuppte Sartre seine «Opfer», bis aus einer rasenden Pirouette ein neues Wesen entstand: Das hieß allemal Jean-Paul Sartre. Er hat den – durch seine und Cocteaus Interpellation aus dem Zuchthaus befreiten – Jean Genet in seinem eigenen Kot ersäuft; seine über alle Dimension hinausgewachsene Genet-Biographie war ein Fanal – und führte zugleich dazu, daß Genet nach seiner Freilassung nie wieder ein Buch schrieb: totgelobt. So hat Sartre auch den onanistischen Geiz Baudelaires so haargenau als frühkapitalistische Methode des Berührungsverbots analysiert, daß sich alsbald aus seiner Interpretation der Häscher und Näscher Sartre selber entpuppt. Wie er in seiner vielbändigen und dennoch unvollendeten Flaubert-Studie den gerühmten Romancier so perfekt umgarnt, bis dessen frappanter Satz «Madame Bovary – c’est moi» so klingt, als habe da – einer wörterreichen Autobiographie entsprechend – einer sagen wollen «Gustave Flaubert – c’est moi».
Sartres Philosophie der Freiheit strotzt – wie so viele der eigenen «freien» Entscheidungen – von Widersprüchen. In seinem besonders gelungenen vierten Kapitel hat Hans-Martin Schönherr-Mann das so eindrücklich wie plausibel interpretiert. Da in Sartres Konzept die Freiheit zugleich durch Einsicht und Verantwortung begrenzt wird, changiert der Begriff – da Einsicht und Verantwortung des einzelnen ja wechselnden Prozessen unterworfen sind. So waren Person wie Werk auch ständig wechselnden Akklamationen wie Attacken unterworfen. Ich erinnere mich, wie bei Jürgen Fehlings deutscher Erstaufführung der «Fliegen» in Berlin ( 1948 am Westberliner Hebbel-Theater mit der unvergeßlichen Joana Maria Gorvin in der Hauptrolle) in der Reihe vor mir ein wild applaudierender Wolfgang Harich saß (neben mir übrigens ein Funktionär der Kulturabteilung des ZK der SED , das damals noch Zentralsekretariat hieß); wenig später erschien das wüste Anti-Sartre-Pamphlet von Harichs Wunsch-Vater Georg Lukács, «Existentialismus oder Marxismus?», und wiederum wenig später saß der vom kommunistischen Kulturpapst Angeprangerte auf Moskauer Tribünen, von Ovationen begrüßt. Das mag ein Irrweg Sartres – einer von vielen – gewesen sein; ein Irrtum seitens der Gastgeber war es allemal. Denn Sartres politische Parteinahmen waren vor allem geprägt vom Haß auf den Kolonialismus – daher sein lebenslanger Kampf gegen de Gaulle: ein einzelner, nicht etwa ein Presse-Tycoon mit Archiven, Rechercheuren und Tausenden von Angestellten, war zum gefürchteten Gegner des Staates und dessen Oberhaupts geworden. Es war der Kampf eines Intellektuellen gegen die Macht, und auf dem Höhepunkt des Algerienkrieges zerbombte die OAS seine Wohnung gegenüber der Kirche Saint-Germain (wobei wertvolle Manuskripte verlorengingen); Boulevardjournalisten wie Geheimdienstler gaben sich ein Stelldichein vor Sartres Wohnungen, um in den Mülltonnen nach «belastenden» Zetteln zu fischen. Spätestens von jetzt an galt und gilt Jean-Paul Sartre als DER Intellektuelle
par excellence.
Doch sein immer wieder neu definierter Freiheitsbegriff – «Während seiner gesamten Existenz hat Sartre nie aufgehört, sich neu in Frage zu stellen», sagte Simone de Beauvoir über ihn – war ja keine Predigt der Beliebigkeit nach dem Motto «Jeder darf alles»; er war vielmehr streng gekoppelt an den Begriff der Verantwortung und des Gewissens: also diametral entgegengesetzt dem marxistischen Determinismus. Mir scheint nach Jahren der Sartre-Lektüre überhaupt fraglich, ob er den Marxismus kannte, sich mit den klassischen Texten je ernsthaft auseinandergesetzt hat. Schon die Devise von Friedrich Engels «Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit» hätte ihn schaudern lassen müssen. «Einsicht in die Notwendigkeit» hatten schließlich auch die Angeklagten der Moskauer Prozesse; sie waren also «frei», ihre Todesurteile zu akzeptieren. Derlei widerlief fundamental Sartres Entwurf von der Existenz des Menschen, seiner Möglichkeit zur Wahl bzw. der – von ihm beklagten – falschen Wahl; der falschen Freiheit. Hans-Martin Schönherr-Mann geht penibel auf Sartres, vorwurfsvoll gemeintes, Wort «mauvaise foi» ein, das mal als «Unwahrhaftigkeit», mal als «Unaufrichtigkeit» übersetzt wurde, zuerst
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