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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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nennt.
    Eben das Phänomen, das Sartre in den «Wörtern» an seiner
eigenen
Kindheit geschildert hat, wird hier vorgeführt: Der Kampf eines Heranwachsenden mit der Sprache, mit dem Wort. Was den jungen Flaubert inmitten einer Welt der Tüchtigen zum «Idioten» macht, ist die Ablehnung, das Handwerk des Lebens zu erlernen – sprechen und schreiben. Die Werkzeuge der bürgerlichen Emanzipation werden fortgewiesen. Kommunikationsbruch statt Verständigung; «unverständig» in beiderlei Sinn bleibt der junge Gustave, umgeben von Aufsteigern.
    Sartres Analyse ist besonders luzide, wo er dieser schwierigen Dialektik nachgeht: «Nicht geliebt sein wird empfunden und verwirklicht als Unmöglichkeit, sich zu lieben … das Kind mißfällt sich einfach.» Das führt zu einem gehetzten Selbst, Lebensüberdruß und fast vegetativer Passivität (Sartre diagnostiziert mit knapper Exaktheit etwa die Metapher des Pilzes in Briefen Flauberts); und das führt zu einer rasenden selbstzerstörerischen Aktivität am Rande des Sadismus, zu jener Aktivität des Hasses und der Bosheit, die in der Anekdote Sully-Prudhommes festgehalten ist, der sich nach einem Besuch beim alten, berühmten Flaubert dessen Diktum notiert: «Wenn man mir eine Gemeinheit berichtet, so macht mir das ebensoviel Spaß, wie wenn man mir Geld gibt.» Es ist jener Auto-Sadismus – Sartre nennt es «passive Aktivität» –, der ihn das Böse entdecken, aufdecken und lieben läßt; Sartres eigener vielzitierter Satz «Die Hölle, das sind die anderen» taucht in vielerlei Variationen hier auf, nicht zufällig liest man immer wieder Flauberts Satz «Die Welt ist die Hölle»:
    Gustaves Bestimmung ist es, zu schaden: Seine passive Aktivität setzt sich das Ziel, den Menschen zu vernichten durch Verweigerung jeglicher Komplizenschaft mit den Lebenslagen dieses gespaltenen Tieres, um hinter der Unbeständigkeit des Komödianten das menschliche Vieh, das Schwein zu entdecken. Schaden heißt also demaskieren: Wenn er alle unsere armseligen Abwehrmanöver vereitelt und den Leichengestank in uns entdeckt hat, ergötzt er sich: Nicht daß er diesen Fäulnisgeruch um seiner selbst willen liebte; es gefällt ihm, daß unsere Art schlecht riecht.
    Dieser Demaskierungsball, Höllenritt und Totentanz – das ist Literatur. Es ist Sartres erklärte Absicht, mit diesem Buch den Produktionsmechanismus aufzudecken, der aus dem Bösen das Schöne macht: Denn schreiben heißt, sich der Welt bemächtigen. «Er schreibt, weil er sich nicht liebt», heißt es bei Sartre. Es ist keine Verpuppung, sondern Ent-Larvung. Und es ist kein Zufall, daß Sartre zwei Autoren als Kronzeugen aufführt – Genet und Kafka. Diese Erinnerung trifft nicht nur den «Brief an den Vater», sondern auch jene Erzählung, die bereits im Titel den Existenzbegriff aller drei Autoren umfaßt:
    Tatsächlich wird sich Gustave nur dann unter die Mißgeburten einreihen, wenn diese scheinbar assertorische Behauptung – «du bist ein Idiot, ein
minus habens
» – ein Urteil in sich birgt. Franz Kafka, eine andere Mißgeburt, die gern Flaubert zitiert und sich ihm verwandt fühlt, hat das klar gezeigt in einer Novelle, die eben gerade diesen Titel trägt und die rechtliche Grundlage seines Verhältnisses zum Vater aufdeckt.
    Die zentrale Kategorie aber, die Sartre in seiner großen Studie «Saint Genet – comédien et martyr» fruchtbar gemacht hat, ist ja das «Urteil»;
das
Akzeptieren der Verurteilung. «Du bist böse, Du bist ein Verbrecher, Du bist ein Außenseiter» macht das Wesen des Genetschen Werkes aus. Es ist ein einziger Beweis durch Überhöhung: «Seht, ich bin noch schlechter.» Das Wort vom passiven Aktivismus – wo wäre es wohl, bis in die Variationen der lust- und qualvollen Sexualität hinein, angebrachter als beim Schöpfer des «Querelle».
    Sartres furiose, ja gleichsam forensische Interpretationskunst schnellt zwischen solchen Assoziationen hin und her. Es war die Rede von einem dialektischen Prozeß. Und dessen Verlauf innerhalb tausendfacher Widersprüchlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten ist der Verlauf von Kunstproduktion. Das Akzeptieren von Urteil schafft Kraft zum Urteil. Die
impassibilité
schafft zugleich Energie zu Rache, Hohn und Strafe. Für Flaubert wird schließlich Gewissen nur das, was man die innere Eitelkeit nennt. Sich zu einem Anderen zu machen, ständig und immer wieder, gibt ihm die Möglichkeit zu einer «anderen» Wahrheit auch – einer vermittelten.

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