Stalingrad
kein Schriftsteller, habe beschrieben, was ich gesehen habe, mir was ausdenken kann ich nicht. Dabei kommt einfach nichts raus, glauben Sie’s mir.
Damit endete unser Gespräch. Und zehn Jahre später, das war schon nach dem XX. Parteitag, bat mich der Leiter des Militärverlages »Wojenisdat« fast unter Tränen, die zwei, drei Zeilen zu streichen, wo bei mir Offiziere über Stalin sprechen. Ich lehnte ab. Und zwar nicht aus Liebe zu Stalin, versteht sich.
Zu der Zeit holte man die bronzenen, granitenen, marmornen, gipsernen Standbilder des schuldig gewordenen Führers mit Brecheisen und Spitzhacken von den Sockeln und zerstörte sie, während auf den Plakaten sein Profil, das immer auf allen Fahnen neben dem Lenins geprangt hatte, zugemalt wurde. (Ich fürchte, ginge er jetzt irgendwo in einer stillen Bucht auf der Krim an Land – ich glaube an ein Leben nach dem Tode –, um seine Schritte gen Moskau zu lenken, viele würden ihn mit Blumen begrüßen, so wie einst der von Elba geflohene Napoleon begrüßt wurde. Marschall Ustinow würde als erster die Knie beugen …)
»Ihr habt für Stalin gekämpft. Ihr habt euch heiser geschrien mit eurem ›Für die Heimat, für Stalin!‹, wenn ihr zum Angriff losgestürmt seid (ich gestehe, bei mir war das auch so), ihr habt das schlimmste System der Welt verteidigt, schlimmer als das Hitlersche – und was hat das nun gebracht?«
Von vielen hier im Westen bekomme ich das zu hören. Ja, antworte ich darauf, aber wir haben damals nicht »für«, sondern »gegen« gekämpft.
In unser Land war der Feind eingefallen, und wir mußten ihn vertreiben, ihn vernichten. Alle, die die verhaßte Uniform trugen und »Gott mit uns« auf den Koppelschlössern.
Ich fühle mich nicht berechtigt, die Wlassow-Leute zu verurteilen – ich kam mit ihnen nicht in Berührung, vieles weiß
ich nicht –, aber hätten sie sich uns in den Weg gestellt, wir hätten auf sie geschossen.
Wohin das Ganze aber führen sollte, das wußten wir nicht.
Niemand wußte es damals.
Den Arm in der Binde, streunte ich durch das von uns befreite Lublin und sah nur lächelnde Gesichter. Man lud mich ein, bewirtete mich, setzte mir zu trinken vor. Wieviel »Bimber«, scharfen polnischen Selbstgebrannten, tranken wir.
Glückliche Tage! Jetzt würde ich es nicht wagen, mich mit meinem Russisch auf den Straßen Lublins oder Warschaus blicken zu lassen. Auch nicht auf den Straßen Prags. Dabei hatte man mir doch auch dort zugelächelt, wenn man meine Schulterstücke sah (ich war bereits Journalist, konnte mich jedoch nicht von ihnen trennen), und mir zu trinken vorgesetzt, nicht »Bimber«, aber süffiges tschechisches Bier.
Ich weiß nicht, was die Offiziere der im »Bruderland« Polen stationierten sowjetischen Divisionen jetzt mit wem trinken. Ich weiß nicht, worüber sie sich Gedanken machen, worüber sie sprechen, wenn sie ihren halben Liter »vernichten«, doch eines weiß ich ganz genau – ein Pole wird niemals mit ihnen zechen.
Ich lernte einen Mann kennen, der aus Afghanistan geflohen war. Einen Afghanen. Zehn Jahre hatte er in Moskau gelebt, an der Universität studiert, seine Aspirantur absolviert, er hatte sich mit Russen angefreundet, sie ins Herz geschlossen, mit ihnen »Immer lebe die Sonne, immer lebe die Mama!« gesungen. Und jetzt – mit welcher Bitterkeit sprach er darüber zu mir – töten diese Russen, nein, nicht dieselben, andere, unsere Mütter, nehmen uns unsere Sonne weg. Man haßt die Russen! Alle. Ohne Ausnahme. Dabei wurden sie doch einmal geliebt.
Das Blut gefriert einem in den Adern, wenn man das hört. Unser »Birkenpflock« ist zum Okkupanten geworden. Mit Napalm läßt er Dörfer in Flammen aufgehen, er vergiftet Menschen mit Gasen (die achtjährige Tochter meines Afghanen ist bis heute in Behandlung, eine ganze Schule wurde vergiftet, und dann stellte sich das Fernsehen hin und behauptete, das seien Opfer von Banditen). Er, der »Birkenpflock«, sät ringsum Tod, ohne aus seinem Panzer herauszukommen, wirft vom Hubschrauber winzige Minen in Form von Armbanduhren und Spielzeug ab. Nein, sie töten nicht, diese Minen, aber wieviel Unglückliche mit abgerissenen Händen und Füßen hat mein Afghane gesehen … Und nachts raubt der »Birkenpflock« Geschäfte aus, handelt mit »Kalaschnikows«, tauscht sie gegen Haschisch. Ja, ja, gegen Haschisch. Der »Birkenpflock« ist rauschgiftsüchtig geworden, Wodka reicht ihm nicht mehr. Und ewig ist er hungrig. Zu fressen will er
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