Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
Kopf, aber er tat nichts, außer sich zu übergeben. Würgend und mit verschwommenen Augen sah er, wie sich einer der betrunkenen SS-Männer mit dem Hammer auf den Daumen schlug und unter dem Gelächter der anderen mit einem Schmerzensschrei von der Leiter fiel.
    Die Partisanin schrie nicht, aber ihre Lippen und ihr Körper zuckten, und es war keine Frage, dass sie noch lebte und fühlen musste, was mit ihr geschah. Der Leutnant schloss die Augen. Er wollte und konnte einfach nicht mehr sehen, was hier passierte. Ein viehisches Verbrechen, begangen von Landsleuten, von Angehörigen der deutschen Streitkräfte.
    Erneutes Gelächter ließ ihn die Lider wieder öffnen. Der SS-Mann hatte sich hochgerappelt und benutzte die Enden seiner zu Bruch gegangenen Leiter als Stelzen. Unbeholfen stakste er auf die an der Wand hängende Partisanin zu, versuchte sie mit letztem Schwung zu küssen, traf jedoch mit seinen Lippen nur die Scheunenwand und ging wieder zu Boden. Seine Kameraden gaben grölend Ratschläge.
    »Frag sie erstmal, ob sie heute Abend schon was vorhat!«
    »Hundert Rubel, wenn du sie auf Stelzen knallst!«
    »Steck dir deine Iwanknete innen Arsch!«, entgegnete der SS-Mann wütend.
    »Vielleicht kann sie wechseln, schieb mal ’ ne Münze rein!«
    Der Leutnant sah, wie das Blut der jungen Frau aus der Schusswunde lief und zu Boden tropfte. Er hatte geschossen, er hatte die Partisanin verwundet. Ohne ihn wäre sie entkommen. Er war schuld, dass sie hier hing.
    Er konnte es nicht länger ertragen. Er war kurz davor, mitten in die grölende Meute zu schießen, als er endlich den Befehlshaber dieser Aktion entdeckte.
    Sturmbannführer Roschmann war nicht gefallen, sondern saß unversehrt auf einem thronähnlichen, aus Rosenholz geschnitzten und reich ornamentierten Stuhl und ließ sich von einer Ordonnanz Krimsekt servieren. Es schienen d ie Ingredienzien zu einem absurden Ritual zu sein.
    Hans von Wetzland ging empört auf den Sturmbannführer zu. Er hatte Mühe, die Form zu wahren. »Leutnant von Wetzland, falls Sie sich erinnern. Sturmpionierbataillon 125.«
    Roschmann lehnte sich auf seinem Thron zurück und musterte den Leutnant beinahe gelangweilt. Er wusste, was kommen würde.
    »Sturmbannführer, ich muss Sie dringend bitten, diesen verbrecherischen Folterungen sofort ein Ende zu bereiten!«
    Roschmann prostete ihm mit dem Kristallglas ironisch zu. »Ah, die Kavaliere der Front! Verzeihen Sie, dass wir Ihnen bei der Verteidigung Ihrer Nachschublinien etwas unter die Arme greifen. Ich hätte mich bereits früher gemeldet, um Ihnen den Anblick unserer Arbeit zu ersparen, aber unser Funkgerät ist zu Bruch gegangen.« Er ging abrupt in den Ordensburgjargon über. »Wie viele Ausfälle hatten Sie denn auf Ihrem Scheißzug? Ich hab zwanzig Mann verloren, in diesem beschissenen Wald, und wissen Sie, was das bedeutet? Es bedeutet, dass genau zweihundert Russen ins Gras beißen werden. Eins zu zehn, das ist unsere Quote. Der Iwan soll wissen, woran er ist. Wir sprechen die einzige Sprache, die er versteht.«
    Hans von Wetzland atmete tief durch. Er hatte gelernt, dass man einem aus dem Ruder gelaufenen Vorgesetzten am ehesten mit Ruhe und Gelassenheit imponieren konnte. Nichtsdestotrotz wählte er deutliche Worte. »Was Sie hier tun, ist nach gängigem Kriegsrecht nichts als feiger Mord.«
     
    Roschmann hob unmerklich die Augenbrauen und ließ sich nachschenken. Für ihn war von Wetzland ein typisches Produkt bürgerlich-humanistischer Erzieh ung. Eine Zigarette und ein Verbandspäckchen für den verwundeten Gegner. Das Töten als fairer Wettkampf. Früher hatte er diese Heuchler gehasst, mittlerweile verachtete er sie nur noch.
    Er erinnerte sich flüchtig an ein Telefonat im letzten Jahr mit dem zuständigen Divisionsstab, als es um die Erfassung der Juden im Raum Kiew ging. »Schießen müsst ihr «, hatte der zuständige General gesagt. Er würde einmal als Initiator genialer deutscher Umfassungsoperationen in die Geschichtsbücher eingehen. Zum Held avancieren, ohne jemals eigenhändig einen Menschen erschossen zu haben!
    Schießen müsst ihr.
    Sie hatten geschossen. Fünftau send Juden in einer einzigen Woche. Dem damaligen Sturmführer Roschmann war das Kunststück gelungen, mit einer einzigen Kugel fünf Juden zu liquidieren. Als Anerkennung für diese außerordentliche Leistung hatte er die Nacht mit einer besonders hübschen Jüdin verbringen dürfen, die er am nächsten Morgen nach dem Frühstück

Weitere Kostenlose Bücher