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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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auf mich in Ezovka.«
    »Halt’s Maul! Dort sitzen längst die Russen.«
    »Ihr habt mich angestiftet«, klagte die Stimme, von raue m Gelächter unterbrochen, »meine Gehirnerschütterung ausgenutzt. Ich hätte sonst nie meine Kameraden bestohlen …«
    »Natürlich nicht, Kleiner. Jetzt spiel endlich …«
    Gross legte die Schokoladenverpackung weg, machte Fritz ein Zeichen, die Konservenwand einzutreten und zu schießen.
    Fritz schüttelte den Kopf. Es genügte, sie zu entwaffnen. Er wollte niemand mehr erschießen. Nicht einmal Kettenhunde.
    Gross hatte verstanden. Er zählte lautlos bis drei, dann traten sie gegen die künstliche Wand. Ein Hagel von Konserven ging vor ihnen zu Boden.
    »Hände hoch!«
    Zehn Feldgendarmen standen oder saßen vor ihnen rund um einen langen Holztisch. Die Dosen prasselten auf ihre Köpfe, Schultern und den Tisch, der mit Schnapsballons, Brotresten, Würsten und Schinken beladen war. Sie warfen schützend die Hände über den Kopf und duckten sich über die Tischplatte, dann starrten sie fassungslos auf die zerlumpten Eindringlinge. Auch die waren überrascht. Unbehaglich musterte Fritz die vielen Köpfe. Er versuchte zu sprechen, aber seine Stimme versagte. Einer der Feldgendarmen begann zu grinsen. Fritz räusperte sich, schluckte.
    »Flossen hoch jetzt! Passiert keinem was. Wir nehmen bloß ’n paar Konserven mit.« Er spürte, wie ihm wieder schwindlig wurde. Sie mussten sich beeilen. »Alles klar?«
    Ein Hauptwachtmeister stieß verächtlich die Luft zwischen den Zähnen aus und erhob sich. Fritz sah den ersten Mann seit Wochen, der noch einen Bauchansatz besaß. Sein breites Gesicht glänzte. Der Ofen lief auf Hochtouren.
    »Ihr seid wohl größenwahnsinnig!«
    Der, der gegrinst hatte, warf einen kurzen Blick in seine Spielkarten. Sein Blatt war ziemlich vielversprechend. »Gib ihnen ’n bisschen was. Wir ziehen sowieso um und können nicht alles mitnehmen.«
    »Schnauze!« Der Hauptwachtmeister beugte sich vor, bis Fritz seinen Schnapsatem riechen konnte, nahm ein Stück Wurst vom Tisch, hob es zwischen Daumen und Zeigefinger auf Augenhöhe und versenkte es langsam in sein em Fischmaul. Er kaute provozierend langsam, seine vorgewölbten blassblauen Augen glitzerten. »Wenn ihr auch nur einen Krümel hier anlangt …«
    Fritz fühlte, dass er sich nicht mehr lange auf den Beinen halten konnte. Die Hitze des Ofens betäubte ihn. »Wir wollen keinen umlegen …«
    »Wieso nicht?«, fragte Gross. Er hatte die ganze Zeit unverwandt einen billigen Druck an der Wand gemustert. Es handelte sich um die bäuerliche Venus von Sepp Hilz, dem Li eblingsmaler des Führers. Die massige Schulter des Feldjägers verdeckte ihre wogenden Brüste, als er Gross das Gesicht zuwandte. »Eure Spritzen sind doch nicht mal geladen.«
    Gross lächelte. »Vergesst ni cht, wer stirbt, hat gewonnen.«
    Fritz wurde schwarz vor den Augen. Er wollte etwas sagen, wollte Gross und die Feldgendarmen anbrüllen, sie sollten Vernunft annehmen, endlich mit dem sinnlosen Schlachten aufhören, aber er brachte keinen Ton hervor. Weit entfernt hörte er Gross’ Stimme:
    »Will einer noch bis drei zähle n, oder sollen wir gleich anfangen?«
    Fritz wusste, er würde es nicht verhindern können, so wie alles andere auch nicht. Er fühlte, wie s eine Beine nachgaben, und er begann im Fallen zu schießen.
    Orangerote Blitze zuckten durch die Finsternis, MPi-Salven, Schreie, Geklirr, ein dumpfer Schlag gegen seinen Arm, polternde Schritte, ein Stiefel in seinem Gesicht. Kognak und Mehl rieselten in seinen Nacken.
    Verschwommen sah er, wie Gross, hinter einige Kisten auf dem Rücken liegend, nach oben feuerte. Wie ein Echo peitschten Schüsse zurück in den Raum. Durch einen Nebel von Mehl und Kalk fielen die Körper von vier Feldgendarmen die Treppe herunter, die sie gerade emporgelaufen waren, verklemmten sich im Geländer. Über sie hinweg sprangen Rollo und Hans in den Raum.
    »Rohleder – Eingang sichern!« Hans wandte sich keuchend an Gross. »Wie viele?«
    »Noch zwei.«
    Rollo hatte am Eingang Deckung gesucht, spähte nach oben. Fritz beschloss, regungslos liegen zu bleiben. Gross und Hans ließen sich auf den Boden gleiten, krochen vorsichtig weiter. Sie kämpften mit derselben Präzision wie früher gegen die Russen. Sie befanden sich jenseits aller Erschöpfung und Angst. Es machte ihnen Spaß. Die kampfungewohnten Kettenhunde hatten keine Chance.
    Gross hob den Arm, tippte gegen eine Konservendose. Die

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