Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
Hundes.
    »Das Herz«, stammelte er, »ich habe es nicht gegessen …«
    »Halt dein …«, begann Rollo. Sein Kopf kippte zur Seite. Er war mal wieder mitten im Satz eingeschlafen.
    »Ich hab’s nicht gegessen«, fl üsterte der Arzt. »Man wird verrückt, wenn man Menschenfleisch isst.«
    »Man wird genauso verrückt, wenn man gar nichts isst«, sagte Gross. »Glauben Sie’s mir.« Er fischte dem schlafenden Rollo den Flachmann unter der Bluse hervor. »Trinken wir auf alle Verrückten und Wahnsinnigen.« Er lachte. »Auf den Führer!«
    Der Flachmann war leer.
     
    Endlich die dunklen Silhouetten von Stalingrad. Wie ein Steinbruch zog sich die Stadt entlang der Wolga hin. Stalagmiten der Vernichtung, Todesspeere, aus der Hölle durch die Erde gebohrt, ragten in den Nachthimmel. Über Stalingrad-Mitte stetiges Aufblitzen der Salvengeschosse und Rauch.
    Sie hielten sich nördlich. Alle Waffen wurden kontrolliert und mit der Munition des Hauptmanns und von Gross geladen. Sie hatten noch zwei Handgranaten. Für eine normale Straßensperre würde es reichen.
    Sie fuhren zwischen die ersten Häusergerippe. »Wieder daheim«, murmelte Gross. Auch Hans empfand es so. Die Ruinen riefen bruchstückhafte Erinnerungen an die früheren Kämpfe in ihm hervor, an die Zeit, als er noch Leutnant gewesen war. Und obwohl er wusste, dass er nur das verblendete Werkzeug eines gigantischen Verbrechens gewesen war, schimmerte plötzlich ein seltsamer Stolz durch seine Erschöpfung. Er hatte überlebt, er hatte bis jetzt überlebt, und er würde weiterhin überleben, koste es, was es wolle!
    »Der Lastwagen macht zu viel Krach«, sagte er. »Gehen wir lieber zu Fuß.«
    Fritz fuhr den Lkw zwischen zwei Schutthalden. Im schwachen Licht seines noch intakten Scheinwerfers studierten sie die Karte. Allzu weit konnte es nicht mehr sein. Gross warf einen letzten Blick auf Musk. Er sah das Gesicht eines Sterbenden.
    »Tja, mein Alter«, murmelte er, »die Droge des Tötens fehlt dir. Da hilft kein Morphium.« Er entsicherte die MPi. »Mir fehlt sie auch.«
    Dem Arzt wurde befohlen, beim Hauptmann zu bleiben. Außerdem sollte er den Lastwagen alle zehn Minuten kurz laufen lassen. Rollo zwang ihn, Musk eine neue Spritze zu geben. Misstrauisch wachte er darüber, dass der Arzt dem Hauptmann alles injizierte und nichts für sich zurückbehielt. Die restlichen Ampullen nahm Rollo mit. Als der Arzt zu betteln begann, warf er ihm die leere Kanüle zu.
    Der Gedanke, dass sich Nahru ng in Reichweite befand, mobilisierte ihre letzten Kräfte. Ihre Bewegungen wurden wieder zielstrebiger, ihr Blick bestimmter. Die Aussicht auf ein Stück Brot machte sie wieder zu Soldaten. Gross hatte recht gehabt. Es war leichter, gegen Menschen zu kämpfen als gegen Hunger und Kälte.
    »Rohleder!« Der ehemalige Unteroffizier drehte sich zu dem ehemaligen Leutnant um. »Sie wissen, was wir vorhaben. Können wir uns auf Sie verlassen?«
    Rollo nickte. Er merkte, dass ihn auch die anderen ansahen.
    »Was glotzt ihr so? Ich hab mein Wort noch nie gebrochen. Ich nicht.«
    Es ging los. Gross führte sie in den Dschungel zwischen die vereisten Ruinen.

 
     
     
     
     
     
    83
     
     
    D ie Stadt schien leblos, erstarrt, kein Geräusch, kein Licht, keine Bewegung, nichts. Nur aus der Ferne das Grollen der feindlichen Artillerie, südlich gelegentliches Aufstampfen schwerer Granatwerfer. Das Leben der Besatzer flackerte nur noch unter der Erde, in den Kellern, den Bunkern, den Höhlen.
    Sie folgten einem Trampelpfad, quer über Innenhöfe, durch Granatlöcher, Mauern, Häuser. Niemand hielt sie auf. Sie schienen die letzten Bewohner dieser Geisterstadt zu sein.
    Schließlich gelangten sie an einen größeren Platz. Die Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite waren nur noch mehrstöckige ausgebrannte Fassadenreste. Die Weißen Häuser. Sie hatten ihren Namen von den Schneefontänen, die der Wind in langen Fahnen über ihre gezackten Gipfel blies. H ier gab es tatsächlich noch Menschen, hier herrschte sogar so etwas wie Ordnung, hier war die Welt auf bewährte Weise in Henker und Opfer geteilt.
    Ein Erfassungskommando, immer noch kenntlich an weißen Armbinden, scheuchte elende Lumpengestalten zu einem kläglichen Haufen zusammen. Feldgendarme n trieben ihm aus den Steinhöhlen neue Nahrung zu. Wortfetzen wehten zu den vier Deserteuren über den Platz.
    »Der da drüben, der hatte ta tsächlich Brot unterm Mantel!«
    »Was denn? NSKK-Mitgliedsausweis, Rassezeugnis?

Weitere Kostenlose Bücher