Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Brauchen wir alles nicht. Da rüber!«
»Der hatte auch was Kleines unterm Hemd.«
Die beschlagnahmten Nahrungsmittel kamen in einen Sack, die Übeltäter an die nächste Wand. Vier Schüsse peitschten durch die Nacht. Vier Körper sanken in den Schnee. Ein Teil des immer noch beachtlich rüstigen Exekutionskommandos trieb den Rest des ausgekämmten Haufens eine Häuserschlucht entlang. Der andere Teil verschwand mit den konfiszierten Lebensmitteln gut gelaunt in einem Kellerloch.
Gross, Fritz, Rollo und Hans sc hlichen ihnen nach. Über zerbrochene Steinstufen ging es nach unten. Der Modergeruch von Tod und Verwesung schlug ihnen entgegen. Der Gang führte durch eine Vielzahl von Kellerabteilen, deren Wände man durchbrochen hatte. Der Boden war mit Wundfieber, Schmerz, Einsamkeit und Tod bedeckt. Undeutlich hörten sie die Feldgendarmen fluchen.
»Platz da! Legt euch an die Seite, wenn ihr schon verrecken müsst!«
»Lass sie doch!«
»Ist doch wahr! Wär fast auf di e Schnauze gefallen. Gesindel.«
Und weiter folgten sie den Sch ritten vor ihnen durch das Labyrinth des Sterbens. Verwesung in allen Stadien. Auch die Feldgendarmen hatten sich längst daran gewöhnt. Sie bewegten sich völlig sorglos. Ernsthafter Widerstand konnte ihnen bisher nicht begegnet sein. Das Obrigkeitsdenken funktionierte bei den meisten Soldaten selbst noch unter diesen Umständen. Und wenn sie einmal ein Stück Brot stahlen, zitterten sie vor schlechtem Gewissen und der Strafe Gottes. Kadavergehorsam.
Vor einem besonders stinken den Abschnitt zündeten die Feldgendarmen Zigaretten an. Die aufleuchtenden roten Punkte boten den Verfolgern eine gute Orientierung.
Der Marsch zog sich in die Länge. Fritz fühlte, dass sein Herz wieder schlapp machte. In immer kürzeren Abständen wurde ihm schwarz vor Augen. Rollo führte und stützte ihn. Endlich ging es wieder nach oben.
Oberstleutnant Laske hatte nicht gelogen. In einem von eingestürzten Mauern umgebenen Innenhof lag ein russisches Panzerwrack. Die Feldgendarmen blickten sich vorsichtig um, verschwanden dann nacheinander durch die verrostete Luke.
Während Hans und Rollo zurück blieben, um notfalls den Kelleraufgang und den Innenhof abzusichern, folgten Gross und Fritz den Feldgendarmen. Gross kletterte als Erster auf den zerschossenen Panzer, spähte hinein und ließ sich nach unten gleiten. Fritz folgte.
Gross tastete über den Boden. Unter der aufgerissenen Seitenpanzerung befand sich eine Falltür. Da die Feldgendarmen gerade in ihr verschwunden waren, konnte sie nicht gesichert sein.
Er wartete noch eine Weile, hob sie dann hoch und stieg vorsichtig eine steile Treppe nach unten. Fritz zwängte sich hinter ihm durch die Öffnung und schloss leise die Luke über seinem Kopf.
84
U nten angekommen standen sie vor einer Wand aus Munitionskisten und Konservendosen. Wie betäubt starrten sie auf die unvorstellbare Menge von Lebensmitteln. Hinter der Wand hörten sie Stimmen.
»Die Russen sind zu nah. Wir brauchen ’n neues Versteck. «
Gross nickte Fritz zu und hob seine Waffe. Fritz winkte ab. Ihm wurde wieder schwarz vor den Augen, aber kurz vorher hatte er eine Kiste mit Schokolade neben den Büchsen gesehen. Mit Handzeichen machte er Gross klar, dass er erst etwas essen musste. Gross nickte. Fritz nahm eine Tafel aus der Kiste, und Gross riss sie auf, als die Gendarmen wieder zu sprechen anfingen. Fritz schob sich den ersten Riegel in den Mund. Er konnte nichts schmecken, aber allein die Kaubewegung und das Gefühl, dass etwas Nahrung seinen Magen erreichte, taten gut.
Langsam wurde sein Blick wieder klar, und er sah, wie Gross warnend den Zeigefinger auf die Lippen presste. Hatte er zu laut gekaut? Die Feldgendarmen veranstalteten allerdings so viel Krach, dass sie ihn kaum gehört haben konnten.
»Die Frontschweine schaukeln das schon«, sagte eine reichlich schnapsbeladene Stimme. »Der Führer haut uns mit Tigerpanzern raus. Komm, spiel aus – herzlich lacht die Tante!« Eine Karte wurde auf den Tisch geklatscht.
»Du hast doch keinen blassen Schimmer, was an der Front los ist«, erwiderte eine junge, aufgeregte Stimme. »Du liegst seit zwei Wochen hier unten und säufst.«
»Jeder Krieg braucht seine Etappe. Mach kein Aufstand, Hoth, kommt … Scheiße, wieso hat denn der noch Trümpfe?«
Eine dritte, weinerliche Stimme unterbrach ihn. »Ich muss zurück zu meinen Kameraden. Ich hab die ganzen Lebensmittel, und sie warten
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