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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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rituellen Akt. Das erste warme Wasser seit Monaten. Das Gefühl kehrte in die Glieder zurück und damit die Schmerzen. Schreiend und lachend wuschen sie sich gegenseitig. Verletzungen, um die man sich bisher nicht hatte kümmern können, wurden verbunden.
    Vorsichtig zogen sie sich frische Wäsche über die offenen Stellen der Haut. Natürlich waren die Kleidungsstücke nicht unbenutzt, nicht einmal gewaschen, aber im V ergleich zu den Lumpen der letzten Wochen waren sie wie neu.
    Kurzzeitig ergriff sie eine manische Euphorie, sie umarmten sich, klopften sich gegenseitig auf den Rücken, mahnten sich albern kichernd zur Ruhe: Kinder mit Greisengesichtern. Selbst die Operation des Hauptmanns – der Arzt sägte den Knochen einfach durch und verband den Stumpf – sorgte in Verbindung mit einer geleerten Kognakflasche für Heiterkeit. Sie hatten den Hauptmann zwar gerettet, aber besonderes Mitleid empfanden sie für ihren ehemaligen Kommandeur nicht.
    Der Pfarrer bot ihnen an, sie sofort zu seinen Verbindungsleuten zu führen, doch dafür waren sie zu müde. Rollo zog sich auf sein Bett zurück, nachdem er den Pfarrer gefesselt hatte. So verfuhren sie auch mit dem Arzt. Sie fielen in einen Schlaf, dessen Träume bedeutend weniger friedlich waren als die kleine Insel, die sie sich geschaffen hatten.

 
     
     
     
     
     
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    Z wanzig Stunden später war es wieder Nacht. Während Gross und der Arzt bei dem nach wie vor bewusstlosen Hauptmann blieben, fuhren die anderen mit dem Pfarrer zu den Unterhändlern, nachdem Fritz mit einem kleinen Feuer unter der Ölwanne den Lastwagen wieder in Gang gesetzt hatte.
    Fritz fuhr den Lkw nach den Anweisungen des Pfarrers durch die ausgestorbenen Straßen, Hans und Rollo hatten ihre MPis griffbereit auf den Oberschenkeln liegen, doch die meisten Erfassungskommandos waren nur noch bei Tageslicht auf der Jagd.
    Sie fuhren auf einen der großen Fabrikkomplexe zu. Hier war die Front zwischen Russen und D eutschen seit September ineinander verzahnt.
    Der Pfarrer berichtete, dass es sich bei den Leuten, zu denen sie unterwegs waren, um eine Mischung aus ehemaligen politischen und kriminellen Strafgefangenen , russischen Deserteuren und Kosaken handele, zuverlässige Leute, mit denen er bereits Geschäfte getätigt habe, als sie ihren Unterschlupf noch in der Zariza-Schlucht hatten. Die meisten von ihnen waren bei der Eroberung der Stadt durch die Deutschen aus dem Stalingrader Gefängnis entkommen. Momentan dienten sie korrupten sowjetischen Zahlmeistern und deutscher Feldgendarmerie als Zwischenhändler und machten damit das Geschäft ihres Lebens.
    »Es gibt Leute in diesem Kessel, die immer noch täglich eine Flasche Champagner trinken und als Vorspeise Weißbrot und russischen Kaviar essen.«
    »Zu denen gehören sicher Sie«, sagte Rollo grimmig.
    »Ich habe es vorgezogen, meine Wertsachen vernünftig zu investieren.«
    »Und wie?«, fragte Hans.
    Der Pfarrer zögerte einen Moment. »Ich fliege morgen Abend aus«, sagte er schließlich.
    Fritz und Rollo lachten ungläubig. Hans verzog verächtlich die Lippen. »Und ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wieso Sie uns behilflich sind.«
    »Jetzt wissen Sie’s. Ich habe in der Tat keine Lust, so kurz vor meiner Rettung erschossen zu werden.«
    »Und mit welchem Flugzeug flie gen Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Es gibt noch ein paar kleine Maschinen bei den Fliegerschulen. Wie Sie sich denken können, sind alle Plätze belegt.«
    Fassungslos schüttelte Rollo den Kopf. »Mensch, bin ich froh, dass ich Ihren Scheiß nie geglaubt hab!«
    »Was wissen Sie schon!«, stieß der Pfarrer heftig hervor.
    Plötzlich erinnerte er sich wieder an seine letzten T age im Lazarett: kein Morphium, kein Chloräthyl, keine Tetanusspritze, Sanitätspersonal und Ärzte größtenteils abgehauen, die Zurückgebliebenen apathisch, wahnsinnig. Zwei kleine Brote für zweihundert Schwerkranke. Zweihundert papierdünne Scheiben aus zwei Broten. Die Oblaten von Stalingrad. Er hatte weitergesegnet, mit seinen kältetauben Fingern zu Tode gesegnet, und es war, als wäre der Tod durch seine Finger bis in sein Herz gekrochen, bis es so starr und gefühllos geworden war, dass er sich mit den Ringen der Sterbenden die Freiheit hatte erkaufen können. Es war nicht leicht gewesen, das schlechte Gewissen hatte ihm den Schlaf geraubt, verzweifelt hatte er Gott wiederzufinden versucht, von dem er die ganze Zeit zu sprechen gezwungen war, ohne ihn noch zu

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