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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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in verzweifeltes Schluchzen über, und er verlor das Rennen. Schwer atmend fiel er um, blieb bäuchlings im Dreck liegen und stierte auf die staubigen Stiefel der anderen Soldaten, die im Halbkreis um ihn herumstanden. Sie konnten ihm nicht helfen. Auf den Knien kroch er zu dem einzigen Paar sauberer Stiefel.
    »Bitte, Sie wissen, ich hab vier Kinder und noch nie gekämpft«, flüsterte er, ohne den Kopf zu heben. »Ich überleb das keine Stunde. Haben Sie Mitleid mit mir, bitte!«
    Haller genoss es, Herr über Leben und Tod zu sein. Aber man durfte den Bogen nicht überspannen. Zudem konnte der Wachtmeister seine Spielschulden nicht mehr tilgen, wenn er im Kampf fiel, und so sagte Haller betont beiläufig: »Stehen Sie auf, Slesina. Will ich noch mal ’n Auge zudrücken. Und jetzt zu euch!« Er wandte sich an den Rest der Männer. »Je zwei Mann nehmen sich einen Flammenwerfer. Alle von Unterarzt Wolko mit roter Farbe gekennzeichneten Häuser sind wegen Seuchengefahr abzubrennen. Die Feldjäger und Wölks Leute nehmen die linke Straßenseite, von Wetzlands und Pflügers Haufen die rechte. Kontakte zur einheimischen Bevölkerung sind verboten, bei Widerstand ist sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Noch Fragen, Herr Leutnant?«
    »Keine, Herr Oberleutnant.«
    »Na, dann frohes Schaffen. Munition und Flammenwerfer fassen!«
    Die Häuser bestanden aus Bretterwänden und mit Holzschindeln bedeckten Dächern; sie brannten wie Zunder. Rollo richtete wütend seinen Flammenwerfer auf das zweite markierte Haus und erwischte beinahe ein mageres Bürschchen, das, in Lumpen gekleidet, aus dem Eingang trat. Fluchend riss Rollo das Rohr zur Seite und setzte anstatt des Jungen die Reste des Obstbäumchens im Vorgarten in Brand.
    Pflüger, Piontek und Wölk hatten ihre Erfahrungen mit russischen Kindern gemacht. Sie warfen sich in Deckung und legten sofort auf den Burschen an.
    »Hände hoch und herkommen , kleine Kröte!«, rief Pflüger.
    »Rukki werch, heißt das«, erklärte Piontek.
    »Mir doch egal!« Pflüger entsicherte seine Waffe. »Wenn sie nicht verrecken wollen, sollen sie Deutsch lernen.«
    Auch die anderen Männer waren in Deckung gegangen.
    Der Junge war sichtlich erstaunt über das Chaos, das er allein unter zwanzig erwachsenen deutschen Soldaten angerichtet hatte. Er hatte große, runde Augen und einen ebenso runden, kahl geschorenen Kopf. Mit seinen Ohren hätte man Fliegen erschlagen können. Sie wurden nur noch durch seine Füße übertroffen, die in zerrissenen Stiefeln steckten. Oberkörper und Beine wirkten dagegen lächerlich kurz. Er sah aus wie ein zu klein geratener Erwachsener.
    Langsam hob er die Arme, sei ne viel zu weiten Lumpen rutschten ihm auf die Schultern zurück. »Bitte, Haus nicht kaputt, nix Typhus!«
    Für die Lage, in der er sich befand , war er überraschend kaltblütig. Dem Leutnant kam er vor wie ein geschäftstüchtiger kleiner Bauer, der gelernt hatte, sich zu arrangieren. So einer war zu gerissen, um sich in selbstmörderischer Weise als Köder benutzen zu lassen.
    Hans stand auf und ging langsam auf ihn zu.
    »Nix Feind, Freund.« Der Bursche wies auf das rote Typhuszeichen an der Hauswand. »Ich machen, weil wollen Ruhe vor deutsch Soldat.«
    Hans nickte. Der Junge gefiel ihm. »Verstehe. Keine Angst, wir tun dir nichts. Sind noch Leute im Haus?«
    Der Bursche warf einen schnellen Blick ins Haus, als müsste er sich selbst vergewissern. »Mutter krank, aber nix Typhus. Bein kaputt.« Er stellte sich auf die Zehenspitzen, senkte die Stimme. »Und Schwestern.«
    Rollo hatte es trotzdem gehört. Ruckartig schoss sein Kopf aus der Deckung. »Schwestern? Wie alt?«
    »Achtzehn, zwanzig«, erklärte der Junge so unschuldig, als wisse er nicht, worauf das Ganze hinauslief. »Schöne Schwestern …«
    Haller war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass der Leutnant bereits lange genug unversehrt als Zielscheibe in der Gegend herumgestanden hatte, um einen Partisanenhinterhalt ausschließen zu können. Umständlich stand er auf und musterte unwillig einen hässlichen Fleck auf seiner Hose, den er sich bei der überstürzten Suche nach Deckung zugezogen hatte. Man konnte einfach nicht sauber bleiben in diesem Drecksland!
    Gemessenen Schrittes ging er auf den Leutnant zu. »Ich habe doch ausdrücklich verboten …«
    »In dem Haus sind noch Leute«, unterbrach ihn Hans.
    »Hübsche, junge Mädchen«, bemerkte Fritz beiläufig.
    Haller, der eigentlich die Kompetenzen ein für alle

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