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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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sagte Musk. »Und jeder hat dafür bezahlt.«
    Gross warf einen kurzen Blick auf den rechten hochgesteckten Ärmel des Hauptmanns. »Hab ich gesehen.« Er zögerte. »Tut mir leid.«
    Musk nickte. Er hatte seine Verletzung nicht unabsichtlich ins Spiel gebracht. Jetzt hatte er ihn. Das Bataillon brauchte Männer wie Gross. »Lass es uns noch mal zusammen versuchen, Otto.«
    »Otto …« Gross dachte an einen ziemlich hohen Berg, den Musk und er vor langer Zeit na ch tagelanger Schinderei gemeinsam bezwungen hatten. Jetzt steigen wir gemeinsam in einen Abgrund, dachte er. Tiefer als vom Gipfel des höchsten Berges. Das machte ihn beinahe fröhlich. »Hat mich schon lang keiner mehr so genannt«, sagte er. »Glaub mir, manchmal hatt ich den Namen wirklich vergessen.«
    Der Gener al trat zu ihnen. »Ist er das?«
    Musk nickte.
    Hentz maß Gross mit einem kurzen, prüfenden Blick. »Machen Sie mir keine Schande, Gross!«
    »Wer kann euch schon Schande machen?«, murmelte Gross, aber da waren die beiden bereits gegangen.
    Erst nach und nach setzte sich bei Gross die Erkenntnis durch, der Hölle des Strafbataillons entkommen zu sein. Ihm wurde fast schwindlig, Tränen der Erleichterung füllten seine Augen. Nur undeutlich hörte er, wie der Leutnant den anderen noch einmal bestätigte, dass sie bis auf Weiteres herausgezogen würden, und dass er, Gross, das Skelett, von nun an zu ihrem Haufen gehörte.
    Außer dem Hakenkreuzfeldwebe l Pflüger schienen sich alle darüber zu freuen. Erstaunt stellte Gross fest, dass auch er sich freute.

 
     
     
     
     
     
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    A lle bis auf Gross schrieben nach Hause. Dürre Worte, in die sie wie Schulbuben die großen Begriffe der Propaganda mischten. Einige verwiesen auf Gott, der seine schützende Hand über sie halte, andere auf den Führer, durch dessen strategische Weitsicht sie schon bald den Sieg davontragen würden. Mit jedem Tag verloren die überstandenen Kämpfe ein wenig mehr an Schrecken und wurden durch das Gefühl der Zusammengehörigkeit verklärt. Was hatte man hier an der Front nicht alles gemeinsam erlebt. Da konnten die in der Heimat nicht einmal von träumen.
    Auch Hans von Wetzland schickte seine Brie fe ab. Er hoffte zuversichtlich, mithilfe der Mutter, die seinem Onkel, dem Oberst von Wetzland, zumindest freundschaftlich verbunden war, einen ruhigen Posten in Frankreich zu ergattern. Der Hauptmann hatte ihnen zwar versprochen, dass man sie bis zum Abschluss der Kämpfe nicht mehr ganz vorn einsetzen würde, aber Hans war gegenüber den Versprechungen seiner Vorgesetzten vorsichtig geworden.
    Über seine peinliche Begegnu ng mit der Russin in der Kanalisation sprach er mit niemandem, nicht einmal mit Fritz. Am meisten ärgerte ihn, dass er für diese verlauste, dreckverschmierte junge Frau tatsächlich Respekt aufgebracht, vielleicht sogar Mitleid empfunden hatte, und sie hatte es voll teuflischer Intuition gespürt und eiskalt ausgenutzt. Eine solche Dummheit würde ihm nicht noch einmal passieren.
    Er betrachtete seine Männer, wie sie unbekümmert eine Straße des mit Mandelbäumen bewac hsenen Etappen-Örtchens Goroditsche entlangschlenderten. Sie trugen neue Uniformen, waren gewaschen und rasiert – seine Männer! Er erinnerte sich an die euphorischen Empfindungen bei seinem Dienstantritt in Italien und musste darüber lächeln. Trotzdem, er würde den Haufen vermissen. Vielleicht hatte er seine Versetzung doch etwas vorschnell in die Wege geleitet? Nichts da! Gefühle waren für das Überleben im Krieg denkbar ungeeignet. Er hatte sein Glück in den letzten Tagen wahrhaftig ausgereizt. Außerdem hatte er es Fritz gebeichtet, und der hatte größtes Verständnis dafür aufgebracht. Ein Gedanke, der sein Gewissen beruhigte und ihn die spätherbstliche Sonne genießen ließ.
    Hier, kaum zehn Kilometer hinter der Front, war es bereits ganz friedlich. An die Geräusche des Artilleriefeuers im Norden der Stadt gewöhnte man sich. Fahrzeugkolonnen rollten mit Nachschub nach vorn, Feldjäger regelten den Verkehr. Die Stadt sah hier, trotz aller Trümmerhaufen und Ruinen, im Vergleich zur Front beinahe freundlich aus.
    Wölk paffte zufrieden eine halbe Zigarre. »Eins muss man dem Krieg lassen, man sieht was von der Welt. Sonst wär doch keiner von uns aus seinem Nest rausgekommen.« Väterlich legte er Bubi den Arm um die Schultern und wies mit der Zigarre auf die Ruine eines Mietshauses. »Da erkennt man doch ganz klar den gotischen Rundbogen.

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