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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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wann wird gefickt?«, fragte Wölk.
    »Jetzt halt doch dat Maul«, sagte Piontek und dachte gerührt, dass die Augen des Jungen fast so schön waren wie die von seinem Stier.
     
    Rollo und Fritz hatten tatsächlich neunzehn Kerzen beim Zahlmeister losgeeist. Ihr Schein fiel flackernd auf die feuchten Erdwände und die aus ungehobelten Brettern zusammengenagelten Stockbetten. In jedem Bett befand sich eine dünne Lage Stroh und eine klamme Decke. Das restliche Inventar ihres Quartiers bestand aus einem rußgeschwärzten Gusseisenofen mit Kochplatte, einem wackeligen Holztisch und einigen noch wackeligeren Stühlen.
    Als er die Unterkunft gesehen hatte, hatte Hans von Wetzland sein romantisches Bild von der soldatischen Zusammengehörigkeit über Bord geworfen und sich vorschriftsmäßig in seine von Musk zugewiesene Offiziersunterkunft zurückgezogen.
    Augenblicklich stellte er sich allerdings bescheiden in die Reihe der sieben Gratulanten, die dem scheu lächelnden Geburtstagskind nacheinander ihre Geschenke überreichten. Bubi saß hinter dem Tisch mit den Kerzen und wusste nicht, wie ihm geschah.
    Piontek, der Bauer aus Pindorf, einem kleinen Nest in der Nähe von Rostock, überreichte ihm ein Stück Haselnussschokolade und die zerknitterte Fotografie eines Stiers. »Sieh mal, Junge, wenn dir mal wieder die Muffe geht, guck ihm einfach in die Augen. Er hat schöne Augen, Gutmannsdörfer …«
    Die Augen des jungen Stiers konnte man auf dem kleinen Foto zwar nur erahnen, aber das war nicht so wichtig. Piontek schniefte verlegen, weil er so gerührt war und weil er nun kein Foto mehr von seinem Stier hatte.
    Dann war Rollo dran. Er musterte Bubi aus halb geschlossenen Augen, überlegte, ob der Kleine überhaupt ein Geschenk verdient hatte. Dann zog er seinen Talisman, die russische Kugel, unter seiner Brust hervor und hängte sie Bubi um den Hals. »Damit kommst du durch, tausendprozentig.« Er wandte sich ab, drehte sich noch einmal um und ließ seine Hand auf Bubis Schulter klatschen. »Und außerdem siehst du aus wie mein Sohn.«
    »Wie alt ist denn dein Sohn?«
    »Drei.«
    Nachdem auch die anderen ihre Geschenke losgeworden waren, versuchte der Leutnant einige Takte auf einer Geige, die er sich von einem Nachrichtenoffizier ausgeliehen hatte.
    »Tango, Herr Leutnant!«, rief Fritz. Wiegenden Schritts ging er auf Rollo zu. »Komm, Schatz …«
    »Friede, Freude, Eierkuchen«, sprach Wölk und zeigte Pflüger eine regionale Soldatenzeitung. »Ist doch lahm hier. Da, lies mal!«
    Pflüger arbeitete sich mühsam durch einige Alkoholschleier zu den Buchstaben durch. »Zu unserer Feier werden noch Künstler gesucht. Für das Drama Die gemarterte Sonja stellt der zweite Zug die Lumpen.« Stirnrunzelnd stierte er Wölk an. »Wölk, das ist illegal!«
    »Folter, Tod, Uppstand«, fasste Piontek abfällig zusammen. »In meiner Freizeit will ich was Lustiges sehen.«
    Fritz beendete das Geigenspiel des Leutnants, indem er ein altes Grammophon hervorholte, das er einem Zug Panzerjäger abgeschwatzt hatte. Rollo suchte zwischen den verkratzten Schallplatten herum. »Die Andrew Sisters oder Nat Gonella?«
    Pflüger war mehr für Lale Anderson. »Scheißnegermusik! Du als SA-Mann …«
    »Wer keine Negermusik hören will, soll …« Rollo nahm einen großen Schluck Wodka und stierte vor sich hin; plötzlich leuchtete sein Gesicht auf. »… ’n Neger abseilen gehen! Ha!« Mit einer eleganten Verbeugung, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, trat er vor Bubi. »Darf ich bitten, Geburtstagskind?«
    Bubi schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht.«
    Rollo nahm ihn so zart in den Arm wie seine erste Liebe. »Schießen hab ich dir beigebracht, Rauchen hab ich dir beigebracht …« Er drehte Bubi elegant um die eigene Achse. »Tanzen bring ich dir auch bei.« Er zog ihn nahe zu sich heran. »Und Rammeln sowieso.«
    Er wiegte sich mit dem Kleinen durch den Raum, und es fühlte sich fast genauso gut an wie mit einer Frau. Bubi hatte die Augen weit offen. Er starrte auf den blonden Hinterkopf des Leutnants, der sich neben Fritz gesetzt hatte und mit dem er weitaus lieber getanzt hätte. Aber das durfte niemand erfahren.
    Dieser ließ sich von seinem Freund Fritz gerade die überwältigenden Vorzüge eines Magirus-Lkws erklären. Das interessierte ihn zwar nicht besonders, aber es gelang ihm, Interesse zu heucheln. Er wollte Fritz nicht kränken. Immerhin hatte der ihm das Leben gerettet. Dennoch hatte Hans nicht verhindern können,

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