Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
dass seine Sympathie für den Obergefreiten in der Etappe deutlich nachgelassen hatte. Alles hatte an Tiefe verloren, sah klein, flach und unscheinbar aus. Selbst die Heimat, die in seiner Erinnerung zu einer verschwommenen Miniatur zusammengeschmolzen war. Mühelos erinnerte er sich nur noch an Details. Ein besonderes Porzellan in den Händen seiner Verlobten, eine Fotografie des nie gekannten Vaters auf dem Nachttisch seiner Mutter, der Blumengarten.
    Wie so oft, wenn seine Gedanken zu zerfließen drohten, spürte er Gross’ Blick auf sich gerichtet. Ärgerlich sah er auf – und starrte in die spöttischen Augen seines ältesten Untergebenen. Der Spott darin verschwand, und Hans erschrak über die unendliche Leere und Einsamkeit, die dahinter hervorbrach.
    Fritz erklärte ihm währenddessen mit leuchtenden Augen seine Zukunftspläne. »Je größer Großdeutschland, umso größer meine Spedition.« Er traf den getragenen Ton der Propagandareden perfekt. »Selbst du, Pflüger, kämpfst ja hier nicht nur für den Führer, sondern auch für dich. Hast du noch nie über ’ne Würstchenbude an der Wolga nachgedacht?«
    Pflüger rekapitulierte völlig besoffen sein Schlüsselerlebnis des Tages. »Tiefenschärfe«, lallte er.
    Rollo hatte sich mit Bubi auf seine Pritsche zurückgezogen und gab ihm Unterricht im Trinken. Vorbildlich leerte der Kleine die Flasche mit kräftigen Zügen. Rollo rülpste laut.
    »Ich weiß, du denkst, ich hab keine Kultur. Du denkst, ich bin eine Nazisau.«
    Bubi schüttelte ängstlich den Kopf.
    Rollo stierte ihn überrascht an. »Wieso nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Bubi und hoffte, dass Rollo ihn endlich in Ruhe ließ.
    Rollo wies mit der leeren Flasche auf Fritz. »Der ist mein Freund und denkt trotzdem, ich bin ’ne Sau. Jetzt denkt er, er braucht mich nicht mehr, und tritt beim Leutnant in die goldenen Pedale.« Er warf die leere Flasche knapp an Fritz vorbei gegen die Wand. »Glaub ja nicht, dass ich noch mal da bin, wenn du mich brauchst!« Die heil gebliebene Flasche rollte langsam zu ihm zurück. Sein Arm legte sich schwer um Bubis Schultern. »Weißt du Junge, all es AA – Arbeiter und Arschlöcher – mehr gibt’s nicht.« Er kickte wütend nach der Flasche, verfehlte sie, die Flasche rollte unter Bubis Bett. »Du Scheißunternehmer, du!«
    Fritz winkte lässig ab. »In Ordnung, Hiwistelle bei mir im Lager ist wieder gestrichen.«
    Pflüger fasste Wölk ans Knie. »Du bist zwar nur ein Scheißinfanterist, aber trotzdem in Ordnung!«
    Fritz hieb Pflüger lachend zwischen die Schulterblätter. »Bist zwar ’n Pionier, Pflüger, aber trotzdem ’n Arschloch.«
    Pflüger holte tief Luft. »Tiefenscharf«, war alles, was aus ihm herauskam.
    Rollo tätschelte sehnsüchtig Bubis Hühnerbrust. »Früher hatt ich auch Kultur. Beim ersten Mal mit meiner Frau …« Er schaute Bubi an, als würde er ihm ein großes Geheimnis verraten. »Sie hatte Löcher im Schlüpfer, und ich konnt nicht. Prima Arsch, aber ich konnt nicht.« Er seufzte. »Hab ihr erst mal neue Schlüpfer gekauft. Und jetzt? Was jetzt? Scheißkrieg!« Er seufzte wieder. »In Afrika war noch alles anders. In Afrika war ich noch feinfühlig wie du. Hab ’n Tommy im Nahkampf erschlagen, mit ’m Schürhaken. Hinterher hab ich genauso gekotzt wie du.«
    »Ich hab nicht gekotzt«, sagte Bubi.
    »Ich hab gekotzt, kapiert?«, schrie Rollo. »Seine Birne sah aus wie ’n Bratapfel am Spieß. Scheißschürhaken!« Er schüttelte den Kopf. »Ich hab nie verstanden, wie er in die Wüste gekommen ist. Kein Ofen, kein Holz weit und breit, aber ein Schürhaken!«
    »Vielleicht war’s gar kein Schürhaken«, sagte Bubi.
    Rollo starrte ihn missmutig an und nahm die Hand von seiner Brust. Der Kleine hatte keine Titten und keine Ahnung.
    »Natürlich war’s ein Schürhaken!«, sagte er.
    Fritz ließ sich schwer neben Rollo nieder. »In der Wüste ist alles anders.«
    Rollo legte liebevoll den Arm um ihn. »Verräter!« Er öffnete eine neue Flasche. »In der Wüste waren wir nicht nur geil, da gab’s noch Kameradschaft und Kamele …«
    Fritz schüttete etwas Sand aus einer Schnupftabakdose auf den Boden. Ein letztes Andenken an Afrika. »Unsere Wüste, unser Sand …«
    Rollo kniete auf den Boden und ließ seine Finger liebevoll über den Sand gleiten. Dann sprang er auf und intonierte: »Bier und Sand, scheiß an die Wand!«
    Fritz torkelte an seiner Seite mit ihm durch den Raum. »Weißt noch, mit’m Lupo auf’m Kamel,

Weitere Kostenlose Bücher