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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
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Mal hatte klären wollen, blieb der Mund halb offen stehen. Aufgeregt schluckte er seine Entschlossenheit hinunter. »Was Sie nicht sagen! Na, dann raus damit!« Um sich nicht allzu deutlich zu verraten, fügte er hinzu: »Wir brauchen dringend Küchenhilfen.«
    »Schwestern nix hier. Hier nur alte Mutter«, sagte der Junge schnell.
    Haller bedachte die Wanze, die es gewagt hatte, außerdienstliche Hoffnungen in ihm zu wecken, mit einem kurzen, kalten Blick.
    »Los! Anzünden, die Bruchbude!«
    Fritz drängte sich vor den Leutnant, ehe dieser mit ehrlicher Empörung alles Weitere verderben konnte. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die Haller das Gefühl geben musste, dass man ihn voll und ganz verstand. »Entschuldigung, Herr Oberleutnant, aber ich hätte einen Vorschlag …«
    So leise, dass es die anderen nicht hören konnten, redete er auf Haller ein. Dieser nahm seine Brille ab und putzte sie, wie immer, wenn er versuchte, nachzudenken. Die Soldaten warteten gespannt. Träume erwachten.
    Haller sah es und entblößte die Zähne zu einem beinahe väterlichen Lächeln. Ebenso wie die Männer ihn vor wenigen Minuten gehasst hatten, würden sie ihn in den nächsten Minuten lieben. Er ließ sie noch eine Weile zappeln …
    Abgesehen davon würde ihm eine Frau unter vierzig auch mal wieder guttun.
    Die kranke Mutter des Jungen war inzwischen vor die Tür gehumpelt. Haller reichte Fritz einen Laib Komissbrot. »Geben Sie es der Frau da!«
    Fritz gab das Brot weiter, w ährend Haller der Russin klarzumachen versuchte, dass die Gabe von ihm war. Der Russenjunge erzählte allen, dass er Sascha hieß und ihre Stiefel putzen würde.
    Mit dem Gefühl, einmal richtig menschlich gewesen zu sein, ging ihnen die Einäscherung der restlichen Holzkaten leicht von der Hand. Sie verlief ohne weitere Zwischenfälle.

 
     
     
     
     
     
    28
     
     
    G ut gelaunt, fast ausgelassen, befand sich die Kampfgruppe zwei Stunden später auf dem Weg ins Quartier. Weder das heftige Artilleriefeuer über dem Industrieviertel noch ein kalter Nieselregen konnten ihre Stimmung trüben.
    Fritz blieb an einem Pfahl stehen. In Brusthöhe hingen jede Menge Ortsschilder: Berlin, München, Hamburg, Nürnberg, Königsberg … es wollte keine Ende nehmen. Die entsprechende Kilometerzahl stand dahinter. Fritz schändete dieses eindrucksvolle Beispiel deutscher Heimatverbundenheit mit wenigen Strichen. Er dekorierte einen der Pfeile in ein Geschlechtsteil um, strich Stuttgart durch und schrieb in ungelenken Großbuchstaben darüber »Fritz Puff, 0,4 Kilometer«.
    Die anderen grölten. Nur Bubi war sichtlich schockiert. Der Leutnant, der wohl Gefahr und Kälte, aber niemals eine Frau mit seinen Untergebenen geteilt hätte, freute sich trotzdem auf einen geselligen Abend. Er würde schon dafür sorgen, dass die Männer nicht über die Stränge schlugen.
    Bubi dachte an seine Schwester. Wenn er sich vorstellte, dass sie vielleicht einmal gezwungen sein könnte, für ein paar Konserven … Er schüttelte entsetzt den Kopf. Fritz versuchte, ihn zu beruhigen, und Wölk verstand das ganze Theater nicht. Die waren doch froh, wenn sie was zu fressen kriegten!
    »Seid ihr denn alle so geil, dass ihr das Wichtigste vergessen habt?«, unterbrach sie Gross. Er le gte Bubi die Hand auf die Schulter und drehte ihn zu den Männern um. »Er hat heute Geburtstag.«
    Bubi sah ihn verständnislos an.
    »Natürlich keinen normalen Geburtstag«, erklärte Gross. »Aber wenn einer den ersten Einsatz überlebt, ist er sozusagen noch mal geboren worden, und das sollte man feiern.«
    Der Vorschlag fand spontane Zustimmung. Vielleicht würde irgendwann auch seine eigene Wiedergeburt stattfinden, dachte Gross. Nur ein kleines Stück weit. Dann sah er wieder die Grube, acht mal zwei mal anderthalb Meter, und die zwei Hügel dahinter, einer aus Erde und einer aus Leichen. Sechzehn Stunden, zwei Monate lang, jeden Tag. Schon nach wenigen Tagen hatte er die Leichen gehasst. In dieselbe Zeltbahn, mit der er sechzehn Stunden lang ihre zerfetzten Körper geschleppt hatte, die abgerissenen Hände, Arme, Beine, die Innereien, in dieselbe Zeltbahn hatte er nachts seinen vor Kälte zitternden Körper gewickelt, in einem offenen Graben, in dem sich nichts als Kalkerde und fauliges Schilf befunden hatte. Wie viel Spatenstiche brauchte man für einen deutschen Soldaten? Er hatte es vergessen.
    Der Leutnant gab jedem eine ha lbe Stunde Zeit, um ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen.
    »Und

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