Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fromm
Vom Netzwerk:
Offenbar glaubte er, der hätte die Bemerkung gemacht.
    »Ihr Name, Gefreiter?«
    Scheiße, dachte Fritz, nicht schon wieder ich!
    »Reiser, Herr Oberleutnant.«
    Haller nickte unmerklich, dann riss er dem Obergefreiten eine Packung Zigaretten aus der offenen Brusttasche und zertrat sie auf dem Boden. Hans und Fritz warfen sich einen raschen Blick zu, und der Leutnant schämte sich, weil auch er einmal so ein Kasernenhofidiot gewesen war.
    Haller begann seinen Auftritt zu genießen. »Machen Sie den Knopf zu, Reiser!« Er holte tief Luft. »Dann wollen wir euch die Frontmanieren gleich mal wieder austreiben. Bis zum Einsatzort ist es knapp ein Kilometer. Im Entengang, marsch, marsch! Die Hände über den Kopf!« Er wies mit einer einladenden Handbewegung auf einen Pritschenwagen. »Sie fahren selbstverständlich bei mir mit, Herr Leutnant.«
    »Danke«, entgegnete Hans. »Wenn man mit den Männern schon zusammen vorn war, sollte man auch hinten bei ihnen bleiben.«
    Haller verfolgte sprachlos, wie auch der Leutnant in die Hocke ging und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. Unter dem Feixen der Männer lief er zu seinem Wagen, knallte die Tür zu, ließ anfahren.
    Die Soldaten begannen im Entengang loszuwatscheln.
    Wie lächerlich wir sind, dachte Hans, wie unglaublich lächerlich! Haben wir die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt, um jetzt auf den Leichen zu exerzieren?
    Rollo watschelte keuchend ne ben ihn. »Macht Spaß, Herr Leutnant?«
    »War früher immer meine Li eblingsübung in der Grundausbildung.« Hans wusste, dass er ab nun bei Rollo einen dicken Stein im Brett haben würde. Im Grunde war es nicht schwer, das Vertrauen der Männer zu erlangen. Aber war er dabei auch ehrlich? Wenigstens war er nicht mehr allein.
    Er hatte sich immer einsam gefühlt, solange er zurückdenken konnte. In seiner Kindheit, in der Schule, während des kurzen desillusionierenden Medizinstudiums, als Offiziersschüler, selbst mit seiner Verlobten. Das war nicht ihre Schuld. Es hatte auch nicht daran gelegen, dass sie ihm auf die eine oder andere Weise nicht gefallen hätte, im Gegenteil. Aber je mehr er ihre Vorzüge erkannt hatte, umso mehr hatte er sich vor ihr verschlossen. Jetzt, in diesen Augenblicken, während er in lächerlicher Verrenkung über eine Trümmerstraße watschelte, fühlte er sich zum ersten Mal nicht mehr allein. Er war glücklich.
    Fritz arbeitete sich neben ihn, nickte mit dem Kopf Richtung Haller. »Klarer Fall für’n heiligen Geist.«
    Sie konnten das Puddinggesicht des Oberleutnants durch den Qualm und Staub nur erahnen. Dafür konnte man ihn umso besser hören: »Arschgesichter! Euch kann man ja im Gehen die Hosen flicken!«
    Er benutzte die gleiche Ausdru cksweise, mit der ihn ein Hauptfeldwebel vor einigen Jahren über den Kasernenplatz gescheucht hatte, und es tat ihm immer wieder gut, die damals erlittene Schmach weiterzugeben. Plötzlich ließ er anhalten, und seine Backen weiteten sich voller Freude über einen neuen Einfall.
    »Hier ist sowieso einer zu vi el«, verkündete er den erschöpften Männern. »Wer als Letzter ankommt, ist heute Abend wieder an der Front.«
    Die Männer starrten ihn ungläubig an. Bisher war alles nur ein ärgerlicher Spaß gewesen.
    »Das kann er doch nicht bringen, oder?«, flüsterte Fritz.
    »Darauf würde ich mich nicht verlassen«, gab Hans ebenso leise zurück.
    Fritz nickte grimmig. »Was is t mit dem Brief an dein Onkel?«
    »Heute Abend schicke ich noch einen ab.«
    »Na los, im Entengang, marsch, marsch!«, brüllte Haller.
    Die Männer watschelten, so schnell sie konnten. Der Unterarzt nahm seinen Zahnstocher aus dem Mund und betrachtete sie wie einen Haufen Insekten, die vergebl ich aus einem Wasserglas zu entkommen versuchten.

 
     
     
     
     
     
    27
     
     
    H aller erwartete sie hinter den ausgebrannten Viehställen der Kolchose. Er lehnte an der Tür seines Pritschenwagens und biss in eine dicke Butterstulle, während der Haufen schwitzend zu ihm hinkeuchte. Missmutig registrierte er, dass keiner von den Frontsäuen, sondern Slesina, der Wachtmeister mit den Spielschulden, das Rennen zu verlieren drohte. Diese Flasche verdarb ihm seine ganze Strafaktion! Verächtlich musterte er seinen wie eine Spinne vorankriechenden Untergebenen.
    Schweiß lief Slesina über das tief rote Gesicht. Er hatte lange genug als Handlanger der Strafe gedient, um fest an ihre Umsetzung zu glauben. Mit stechenden Lungen rang er nach Luft, dann ging sein Keuchen

Weitere Kostenlose Bücher