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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Zwischendurch öffnete ich einen schon einmal geschlossenen Knopf erneut und knöpfte ihn wieder zu. Die Knöpfe klapperten gegen meine Fingernägel. Gleich würde Hukka bemerken, dass das Hemd gar nicht so viele Knöpfe hat.
    Ich hatte schon beschlossen: in dieser Woche kein einziges Mal mehr. Und dann so eine Mahlzeit! Und ich würde gleich unter Geknarze die Leiter hinunterklettern und an den Tisch gehen müssen. Hukka fragte, ob Zigarettenrauch mich beim Essen störe. Ich schüttelte den Kopf, mein Speichelfluss kam in Gang, das Zittern der Hände würde ich zum Glück auf den Kater schieben können, doch so nahe an einer solchen Mahlzeit zu sitzen! Wie war ich nur in diese Situation geraten! Erstaunlich. Beängstigend. Wieso war ich bloß nicht darauf gekommen, vorher das Weite zu suchen oder wenigstens zu sagen, ich könne jetzt nichts essen, so fühle ich mich, bestimmt bekomme ich nichts runter. So mache ich es immer, mir fällt doch immer etwas ein, wieso nicht jetzt? Wieso bin ich nicht darauf gekommen, das zu sagen, bevor Hukka anfing, die Butterbrote zu machen? Aber ich konnte ja nicht wissen, dass Hukka das vorhatte. Oder hat Hukka etwas gesagt, zum Beispiel gefragt, ob ich Hunger habe, ob ich essen möchte, was ich essen möchte? Hatte ich das überhört? Falls ich für einen kleinen Augenblick, für die Zeit dieser Frage eingeschlafen war? Da ich nicht antwortete, hatte Hukka das dann so verstanden.
    Ich setzte mich aufs Sofa, obwohl ich mich vor den Brotenverstecken wollte, und griff nach dem Kaffeebecher. Hukka sagte, ich hätte seinen Lieblingsbecher bekommen, und das sei eine Höflichkeit.
    Zu allem Überfluss hatte Hukka die Frühstücksbrote vor dem Mittag gemacht. Und ich esse seit fast zehn Jahren niemals etwas vor zwölf Uhr. Das ist eine alte Regel, die immer noch gilt. Vor zwölf Uhr wird nichts gegessen, nur Kaffee getrunken.
    Und dann brachte Hukka mich dazu, Brote zu essen, noch bevor überhaupt Essenszeit war. Ein erstaunlicher Mensch.
    Sah ich jetzt anders aus?
    Wie jemand, der etwas Gefährliches gegessen hatte und es bei sich behielt? Wie eine Vergiftete? Eine Verlorene?
    Hukka betrachtete mich, während ich versuchte, mit den Butterbroten klarzukommen, er beobachtete mich unaufhörlich.
    Wie kannst du nur so erstaunlich klare Züge haben, ein so markantes Kinn.
    Das hab ich gar nicht.
    Doch. Das war keine Kränkung, lachte Hukka.
    Ich spürte, dass sich auf meinem Gesicht eine Kränkung abzeichnete. Eine, die sich Spott verbittet.
    Aber Hukka fuhr fort, mich zu betrachten.
    Kleine Katze, flüsterte Hukka.
    Und da war ich die Kleine Katze.

1974
    Katariinas Mutter ist zur Hochzeit ihrer Tochter nach Tallinn gekommen. Bis zur Trauung ist noch so viel Zeit, dass Sofia bei einer Bekannten vorbeischauen und kurz in die Stadt gehen kann. Arnold war nicht bereit gewesen mitzukommen, er wollte zu Hause bleiben. Sofia beteuert sich selbst, erleichtert zu sein; sie braucht sich jedenfalls keine Sorge darum zu machen, ob Arnold zu viel trinkt oder seinen frischgebackenen Schwiegersohn zu einem Trinkwettstreit herausfordert, so wird sie das später auch zu Katariina sagen, obwohl sie in Wirklichkeit weiß, dass das Gefühl der Erleichterung daher rührt, dass es am besten ist, Arnold den Blicken der Menschen zu entziehen. Damit er nur ja niemanden reizt. Damit nur ja niemand etwas fragt. Damit Arnold seinen Mund nicht an der falschen Stelle aufmacht. Und außerdem sind auf der Hochzeit sowieso Spitzel , Arnolds Anwesenheit würde sofort irgendwohin berichtet werden. Das könnte sich darauf auswirken, ob Katariina ihre Papiere bekommt. Und auf Katariinas Entscheidungen. Oder auf den Verlauf von Arnolds Rechtssache.
    In der Kaufhausschlange bemerkt Sofia einen Mann, der ihr bekannt vorkommt, und behält ihn im Auge. Der Mann sieht aus wie der gealterte Richard. Ob das Richard sein könnte? Sofia geht und klopft ihm auf die Schulter. Es ist tatsächlich Richard, Arnolds bester Freund, sie waren alle zusammen im Wald gewesen, Richard, Arnold, August und Elmer! Über Richards Verschwinden hatten sie sich gewundert und die Leiche gesucht, aber nichts gefunden, sie hatten vermutet, Richard habe es geschafft, ins Ausland zu fliehen, aber dann hätte Richard wohl doch ein Lebenszeichen geschickt? Und dann steht Richard plötzlich vor Sofia und ist am Leben, Arme und Beine sind an ihrem Platz, als ein Bekannter, als Richard!
    Richard, erinnerst du dich an mich?
    Richard dreht sich um.
    Er kommt nicht

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