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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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fütterte, wie Irene und ich einander gefüttert hatten, wenn wir nicht essen konnten, wie wir auf dem Schulhof kichernd einander gestützt und bei der Beschaffung von Esswaren geholfen hatten und dabei, die übermäßigen Mengen an Lebensmitteln vor Irenes Mutter zu verbergen. Es war dringend nötig, dass ich Hukka fand, um mein Essen ins Gleichgewicht zu bekommen, damit ich mich nicht ins Verderben aß, wenn ich in der Verfassung war, mit dem Essen ins Schleudern zu geraten. Früher hatte als Maßstab genügt, dass ich von uns beiden die Kleinere war. Ohne Irene musste ich alle Grenzen des Essens neu überdenken. Anscheinend fand ich keine Regeln, da ich auch meine Körpermaße nicht erfasste. Hukka musste also kommen, Hukka musste unausweichlich kommen. Um mir zu sagen, wie klein ich war, wie leicht ich war, wenn ich auf Hukka lag, ach, das Gewicht war kaum zu spüren! Wie mein Handgelenk nur so breit wie ein Finger war und meine Zierlichkeit aus Zucker wie ein zarter Zierrat im Schaufenster einer Konditorei, auf der Zunge zergehend und bezaubernd.

1974
    Katariina untersagt ihrem Verlobten, ihr irgendetwas aus Finnland mitzubringen. Überhaupt nichts. Keine Kleider, keine Strumpfhosen, kein Shampoo, kein Deodorant. Nichts Sichtbares. Sie kommt in ihrem Heimatland sehr gut zurecht, schönen Dank. Na gut, Kaffee kann er mitbringen, da er den auch selbst trinkt, das geht gerade noch. Der ist hier ja ziemlich teuer. Und er trinkt ihn ja auch selbst.
    Dann bittet der Pfarrer Katariina, ihm in Finnland einen neuen Mantel zu kaufen – er werde ihn auch bezahlen. Der Pfarrer wird Katariina trauen und ist erfreut, weil sie außer der Eheschließung im Magistrat auch eine kirchliche Trauung wünscht, und noch mehr gefällt ihm, dass Katariina sagt, die Veranstaltung könne für Publikum offen sein. Kirchliche Hochzeiten sind sehr selten, viele wollen sie nicht mehr, da die Staatsmacht die Kirche nach Kräften fertigmacht.
    Bei der Hochzeit ist die Kirche dann auch voller Menschen. Es passen gar nicht alle hinein. Die Bitte des Pfarrers um einen Mantel richtet Katariina dem Finnen nicht aus, sie wagt es nicht. Der Pfarrer wird ihnen deshalb die Trauung ja wohl nicht verweigern?
    Aber für die Blumen des Brautstraußes brauchen sie einen Nylonmantel. Die Hochzeit findet im Winter statt, und offiziell bekommt man nirgendwo Blumen. Katariina kennt jemanden aus dem Blumengroßhandel. Sie bringt ihm einen finnischen Nylonmantel und bekommt dafür einen großen Strauß roter Nelken.

GLEICH
AM
ERSTEN Morgen kochte A. Hukka mir Kaffee, obwohl die Kaffeemaschine kaputt und nur der Filterteil funktionsfähig war. Von der Galerie aus beobachtete ich, wie das Wasser kochte und dann durch einen Filter aus Toilettenpapier in den Becher lief, sowie den Transport des Bechers auf den Tisch. Dann, wie zwei Butterbrote neben den Becher gestellt wurden. Zwei! Zwei Scheiben von einem im Kasten gebackenen Roggenbrot, und beide mit Thunfisch, Käse und Gurke belegt. Der Duft war verblüffend. Ich hatte acht Jahre lang kein Brot gegessen, also so, dass es im Magen geblieben wäre. Wenn man Essen als eine solche Tätigkeit definiert. Brot treibt einem den Leib auf. Und ich hatte nie Brot im Haus und hätte schon gar nicht solche Dinge zusammengestellt oder gegessen. Dass man das Brot mit Butter bestreicht und dann Käse und auch noch Thunfisch darauf tut. Am erstaunlichsten waren die Gurkenscheiben. Hundert Gramm Gurke enthalten nur zwölf Kalorien. Solcherart sicheres Essen zusammen mit einer einzigen und so dicken Käsescheibe zu essen, die mehr als hundert Kalorien enthält, hat keinen Sinn. Und Thunfisch mit seinen etwa fünfundneunzig Kalorien pro hundert Gramm kann man nicht mit Brot kombinieren, von dem eine einzige Scheibe etwa sechzig Kalorien enthält, und auch nicht mit einer solchen Käsescheibe von mehr als hundert Kalorien!
    Sichere und gefährliche Lebensmittel darf man nicht bei ein und derselben Mahlzeit kombinieren. Wozu sollte man gleichzeitig mit gefährlichen Produkten sichere essen, dieman an den anderen Tagen sowieso kiloweise verschlingen muss? Absolut sinnlos! Wenn man sich zu einer Orgie entschlossen hat, sollte man einzig und allein gefährliche Lebensmittel essen, weil davon dann mehr in den Magen passen.
    Hukka hielt meine Ausflüchte, die ich von der Galerie her vorbrachte, für Schüchternheit und fragte, ob ich ein Hemd haben möchte. Ich nahm es entgegen und wandte möglichst viel Zeit dafür auf, es zuzuknöpfen.

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