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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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fliehen, als in der Nähe des Unterstands das Lachen junger Mädchen ertönt. Geplauder, helle Stimmen, sie können fast hören, wie die Röcke gehoben werden, wenn die Mädchen zur nächsten Beerenbülte gehen.
    Kennen wir die? Aus dem Dorf?
    Nein, Unbekannte.
    Dies ist keine Beerenstelle. Brombeeren gibt es in einer anderen Richtung, Rauschbeeren ganz woanders. Sehen wir nach?
    Richard will nachsehen.
    Die Mädchen sind hübsch und lachen viel. Aus der Stadt, von dort, das dunklere Mädchen zeigt mit seinem nackten Arm irgendwohin. Die anderen aus der Familie sind an eineranderen Stelle geblieben, sie haben sich von den Übrigen getrennt, haben gehofft, einen Einheimischen zu treffen, der ihnen sagt, wo bessere Stellen sind.
    Hier sind die Mädchen ganz falsch.
    Die Mädchen kichern. So ist es wohl. Aber es ist doch ein schöner Sommertag, sollen doch die anderen Beeren sammeln, sie selbst haben keine große Lust dazu. Die Dunklere wirft sich ins Moos, lässt ihre Fußknöchel kreisen, lugt nach Richard.
    Arnold fragt, wo die anderen sind.
    Am Flussufer.
    Dann Elmer, aus welcher Stadt die Mädchen denn kommen.
    Aus einer, wo gute Äpfel wachsen, lächelt die Dunklere und streift ihre Brüste. Richard mag nicht mehr fragen, mit so einem schmucken Mädchen gibt es auch anderes zu tun.
    Arnold und Elmer gehen, wollen Richard mitnehmen, aber Richard sagt, er bleibe einen Augenblick.
    Richard bekommt Filzläuse und den Tripper.
    Er muss zum Arzt für Geschlechtskrankheiten gehen.
    So einen Arzt gibt es in der Stadt, in Haapsalu. Richard soll noch einmal wiederkommen. Als er zum dritten Mal in die Sprechstunde geht, warten die Männer vom NKWD schon auf ihn.

HUKKA
HAT
MICH gefragt, warum ich nie von meinem Vater gesprochen habe.
    Weil Vati niemals mit mir gesprochen hat. Und nicht über mich.
    Ein Wort oder zwei ist kein Sprechen.
    Vati sprach über die Kinder seiner Schwester und seines Bruders. Denn das waren Prachtexemplare. Die eine wurde Krankenschwester. Die andere ist mit einem Motocrossfahrer befreundet. Sie sind beide ans andere Ende des Kirchdorfs gezogen.
    Das sind vielleicht patente Mädchen!
    Vati hätte gern mindestens drei Kinder gehabt. Mutter genügte eines. Mit einem ist es weniger mühsam zu reisen. Mit einem kommt sie klar, selbst wenn sie in der typisch finnischen Kleinstadt allein ist. Sie hat auch sonst genug, worum sie sich kümmern muss. In einem fremden Land und mitten im Wald fängt nicht mal eine Verrückte an, Kinder in die Welt zu setzen. Und man weiß ja nie, ob man nicht zurückgehen muss. Vati hat sie so etwas natürlich nicht erzählt. Wozu auch. Vati ist auch sonst nicht an den Dingen interessiert, die Mutter und mich betreffen. Er fragt niemals, was wir auf unseren Estlandreisen machen, Mutter und ich, und auch nicht, wie es Großmutter geht. Vati fragt niemals nach etwas, was Mutter betrifft. Vati fragt überhaupt niemals irgendetwas, aber aus anderen Gründen als ich. Ich glaube, er findet, dass es über Großmutter nichts zu fragen gibt. Und auch darüber nicht, was wir jenseits der Grenze machen.Was gab es da schon zu tun? Vati hat bei sich beschlossen, dass es dort nichts zu tun gibt. Vati will es nicht wissen. Weil es dort nichts Interessantes gibt. Nichts an Mutters Herkunft ist interessant. Das bedeutet es doch, oder?
    Mutter behauptet allerdings, dass sie sich vor ihrer Heirat viel zum Beispiel über die Unterschiede der beiden Kulturen unterhalten hätten.
    Tatsächlich?!

DEINE
MUTTER
IST so eine. Flüstert Vati. Er zwinkert mir zwar nicht direkt zu, aber fast. Deine Mutter ist so eine.
    Nicht so eine so eine, wie Mutter es meint, sondern einfach nur so eine, wie man in Vatis Familie solche Leute zu nennen pflegt, dass sie also sozusagen etwas bekloppt ist.
    Vati lacht bösartig und knufft Anna in die Seite. Von dem Huhn ist Fett in seinen Bartstoppeln am Kinn hängen geblieben. Vati hat angefangen, alles Mögliche mit den Fingern zu essen, was er früher nicht mit den Fingern aß – die Russen essen gern viel Huhn mit den Fingern, sogar Kiewer Koteletts –, und Mutter kann das nicht leiden. Vati isst absichtlich weiter mit den Fingern, um Mutter zu ärgern, und trinkt plötzlich abends lieber Tee und kauft Sonnenblumenöl zum Kochen, weil das irgendwie besser ist . Mutter schreit, in Finnland werde kein tschaj getrunken und kein Sonnenblumenöl benutzt, und die Moskauer Huren seien für sie kein Vorbild, auch wenn man mit ihnen schlafe, deren Sitten kämen ihr nicht ins

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