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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Haus.
    Vati hofft, Anna werde ihn auch in die Seite knuffen.
    Mutter würde nicht gekränkt sein. Das weiß Anna.
    Mutter würde morgen nur sagen, gut gemacht. Genau dann, wenn Vati zu seiner Einkaufsrunde aufbricht, würde Mutter Anna zuflüstern, gut so. Genau richtig. Ist doch egal. Geh nur!
    Anna würde eine eigene Wohnung bekommen, wenn sie groß ist und von zu Hause wegzieht. Anna würde ein eigenes Auto bekommen, wenn sie achtzehn wird.

    Anna würde eine Urlaubsreise nach Europa und Taschengeld bekommen, so viel wie ein kleiner Monatslohn.
    Kann Anna das ablehnen und behaupten, sie wolle es nicht?
    Nein, das kann sie nicht. Aber Anna knufft Vati nicht in die Rippen und zwinkert ihm nicht zu, obwohl sie mit einem einzigen Spießgesellenblick alles Materielle bekommen würde, das sie sich nur wünscht. Anna sagt nichts, weil sie mit Vater nicht streiten darf. So möchte es Mutter. Wenn Vati auf Besuch nach Hause kommt, dann darf Anna nicht streiten und auch nicht frech werden. Mutter allerdings darf streiten, aber Anna nicht. Das ist angeblich ganz was anderes. Weil Vati dadurch wirklich gekränkt ist. Wenn Vati wieder zurückfährt, darf Mutter weinen, Mutter weint immer, wenn jemand wegfährt, aber Anna nicht. Oder vielleicht dürfte sie weinen, aber ihr ist nicht danach zumute. Ihre Wut hat die Tränen weggeschwitzt.

ANNA
MÖCHTE
NICHT jeden Samstag zu Oma, wenn Vati für das Wochenende nach Hause kommt. Und schon gar nicht dann, wenn Vati und Mutter in die Pilze gehen und Anna in Omas weißgelbem Haus zurücklassen. Anna hat einen Pippi-Langstrumpf-Koffer aus Blech, einen rot-grünen, gekauft in der Kinderwelt von Tallinn, und ist immer zum Aufbruch bereit – für alle Fälle.
    In Omas Haus gibt es helle Glühbirnen, und um die Glühbirnen herum Lampenschirme, und nirgends Fliegen, einen glänzenden Fußboden aus Kunststoff und einen gut funktionierenden Farbfernseher im Wohnzimmer mit vielen Sendungen, die sie sehen muss, nicht nur russische Puppenanimationen. Einen knarrenden Schaukelstuhl und in der Stube solche Wärme, wie es sie in einem elektrisch beheizten Haus gibt. Innentoilette und fließendes Wasser. Aber dieses Omahaus hat nicht den richtigen Duft, es riecht dort nach Elektrizität und nicht nach Backofen. Anna will dort nichts anderes tun als auf dem Spanplattenkasten mit den Holzscheiten zu sitzen und darauf zu warten, dass Mutter aus dem Wald zurückkommt. Eigentlich könnte Anna dort auch gar nichts anderes tun. Dort herrscht so eine Kälte, dass Anna nicht spielen kann, und sie spürt etwas so Fremdes, dass Mutter vielleicht im Wald bleiben und nicht wiederkommen könnte, um Anna abzuholen. Im Omahaus löst Mutters Verschwinden im Wald genau solche Empfindungen bei ihr aus, wie wenn sie in dem riesigen Automarkt, zwischen den hohen Regalen des Supermarkts Prisma undin dem Licht, das keine Schatten wirft, Mutter aus den Augen verliert, ganz genau so, schrecklich und unerträglich, obwohl es im Prisma kein haariges Gedränge, keine Schlangen mit blitzenden Eisenzähnen, keine stoßenden Ellbogen und Brüste gibt, die einen in die Luft heben. Dort, wo es die gibt, hat Anna niemals das Gefühl, ihre Mutter verloren zu haben. Anna hat dieses Gefühl nicht, und Anna verirrt sich auch nicht wirklich.
    Bevor Vati und Mutter in die Pilze gehen, wird bei Oma Kaffee gekocht. Oma pflegt neues Kaffeepulver auf das alte zu geben, und wenn Opa bemerkt, dass Mutter Kaffee aus ganz neuem Kaffeepulver macht, lamentiert er darüber endlos. Sie kocht den Kaffee mit ganz frischem Kaffeepulver! Manchmal findet Anna, dass der Kaffee bei der Oma nach Schimmel schmeckt, und Mutter wettet, dass der Kaffeesatz über kurz oder lang ganz bestimmt schimmeln wird, aber das können sie natürlich nicht sagen. Anna und Mutter kippen den Kaffee ins Spülbecken, wenn es möglich ist. Oder sie bringen die angeblich leere Kaffeetasse auf den Abwaschtisch und stellen eine tatsächlich leere darauf. Zucker oder Sahne könnten die Sache abmildern, aber Mutter nimmt auch sonst weder Zucker noch Sahne zum Kaffee und noch weniger bei der Schwiegermutter, schon gar nicht, nachdem Opa erzählt hat, wie die frischgebackene Frau des Onkels drei Stück Zucker in ihren Kaffee tat und obendrein auch noch Sahne, obwohl sie von ihrem Allerwertesten vielen Frauen etwas abgeben könnte.
    Du tust also gar nichts rein, nickt Opa der Mutter zu. Du bist sehr schlank geblieben. Opa betrachtet das Hochzeitsfoto von Vati und Mutter und stellt fest,

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