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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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möglichen Heckmeck gegeben habe oder dass die Weiber wieder mal alles durcheinanderbrächten. Wenn es mit den Visa Probleme gab, wenn die Beschaffung von Flugtickets oder eines Autos oder die Entlohnung der Dolmetscher nicht funktionierte, weil die Russen Schmiergelder oder die Lieferung von irgendwas irgendwohin verlangten, irgendeine kleine Gefälligkeit, auf die er nicht eingehen konnte, scheiterte der Versuch daran, dass Vati sich einfach weigerte, zu zahlen oder die verlangte Aufgabe auszuführen, dieser verrückte Finne. Der verrückte Finne war nicht einmal bereit zuzuhören.
    Ebenso gesprächig hatte Vati seinerzeit zu Hause die Änderung seines Familienstandes angekündigt; seine Familie hatte von der Existenz einer Braut überhaupt nichts gewusst, bevor Vati, als er in Finnland auf Urlaub war, im Hinausgehen zwischen Tür und Angel sagte, er werde in zwei Wochen heiraten. Das war als Witz verstanden worden. Die ganze Stube hatte gelacht.

    Zur Hochzeit war von Vatis Seite niemand gekommen, keine Verwandten und keine Freunde. Allerdings war auch niemand von ihnen eingeladen worden.

MUTTER
WARTET
LANGE darauf. Großmutter hat das Paket schon abgeschickt. Sollte der Zoll die Fotos einbehalten haben? Aber Mutter hatte an Großmutter geschrieben, sie solle kein einziges beilegen, das als verboten interpretiert werden könnte.
    Mutter ruft bei der Post an. Niemand kann etwas sagen.
    Ein Monat, zwei, drei. Nichts.
    In den letzten Wochen des Arbeitseinsatzes in Wyborg beschließt Mutter, Vaters gesamte schmutzige Arbeitskleidung zu waschen, die Vati in die Garage geworfen hat. Dort, in der allerhintersten Ecke, findet sie den Karton und in dem Karton all die Fotos, die Großmutter per Post geschickt hat. Sie sind feucht und verzogen und kleben fest aneinander. Mutter wendet eine ganze Nacht auf den Versuch, die Fotos voneinander zu lösen. Sie weint hinter der Glastür der Küche, während sie ihre estnischsprachigen Kassetten hört und nicht stimmfest Mu kodumaa , Mein Heimatland, singt. Es ist das einzige Mal, dass sie sich in der Küche mit ihrem Mu kodumaa einschließt, ohne dass Anna etwas getan hat. Wenn Mutter mit Vati gestritten hat, kann es geschehen, dass sie sich in die Küche zurückzieht, aber dann spielt sie niemals Mu kodumaa . Das ist reserviert für die Fälle von Einschließen in der Küche, die Anna mit ihrer Widerborstigkeit verursacht.
    Als Mutter schließlich und endlich Vati nach der Rückgabe von Grund und Boden auf ihren heimischen Hof und zu ihrer Schwester führt, macht Vati, als er nachts aufwacht, sichnicht die Mühe, zur Toilette zu gehen, sondern pinkelt in eine Ecke des Wohnzimmers wie ein Hund.
    Katariina liegt in ihrem typisch finnischen Etagenhausunterstand und beschäftigt sich mit solchen Dingen, die man im Unterstand tun kann, liest und schreibt Briefe und macht Essen aus Butter, in der Salz ist und die in Halb-Kilo-Paketen verkauft wird. Katariina sehnt sich nach der estnischen ungesalzenen, hellgelben Butter in den 200-Gramm-Packungen. Und nach den Milchflaschen. Nach größeren Kaffeetassen. Nach der Buttercreme in den Torten. Hier ist dort, wo Buttercreme hingehört, Schlagsahne. An ihrem Geburtstag verwendet Katariina keines von beidem, sondern macht einen Sandkuchen, wie ihre Mutter ihn buk, als Katariina noch klein war.
    Der Mann ist in Moskau. Es kommt keine Karte, kein Telegramm, kein Anruf, ganz zu schweigen von etwas anderem. Wie auch in späteren Jahren nicht. Der Mann macht es genauso wie in Tallinn, wo Katariina dem Finnen verboten hatte, ihr irgendetwas mitzubringen.

1945
    Name?
    Alter?
    Wohnort?
    Ja, Richard, Sie sehen so aus, als brauchten Sie ein Bad … Möchten Sie sich wenigstens Hände und Gesicht waschen? Dort ist Wasser. Bitte schön. Gleich werde ich dem Hausherrn befehlen, Schnaps und Butterbrote zu bringen. Oder warten Sie mal, ich befehle ihm auch, das Wasser zu wechseln, mein Freund war vorhin mit einer Schlampe hier, er hat sich bestimmt in diesem Wasser gewaschen. Und hängen Sie doch Ihre Stiefel und Ihren Mantel dort vor dem Feuer zum Trocknen auf …
    Ist es so nicht viel angenehmer? Richard?
    Hier bekommt man wirklich ausgezeichnete Butterbrote, kosten Sie mal. Genieren Sie sich nicht, wir können noch mehr bestellen. Ja, die Situation ist die, dass wir Sie hinrichten sollten. Sie sind ein Bandit, ein Verbrecher, Sie sind untergetaucht, haben mehrmals Kolchoskassen ausgeraubt, mehrere Staatsbedienstete erschossen und außerdem noch eine

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