Stalins Kühe
dass Anna also sieben Jahre alt ist.
Anna ist vier. Die Hochzeit ist sieben Jahre her.
Zähneknirschend korrigiert Mutter Opas Worte. Opa sagt nicht einmal, ach so.
Außerdem schmeckt Omas Weizenzopf nicht richtig, und die Rosinen darauf sind verbrannt. Jedes Mal packt Oma ihnen etwas davon zum Mitnehmen ein, und Anna streitet mit Mutter darüber, wohin sie die Scheiben tun sollen, die sie beide nicht essen wollen, wo sie sie so verstecken können, dass Vati nichts merkt, sondern annimmt, Anna und Mutter hätten sie brav aufgegessen. Anna bringt sie in die Mülltonne des Nachbarn, während Vati und Mutter in der Sauna sind. Oder Mutter tut sie unter Annas Bett.
Die junge Frau des Onkels kann es nicht vermeiden, dass ihre Zuckerstücke gezählt werden, und wenn sie noch so viel Weihnachtsschmuck und – aufläufe für die Schwiegereltern macht und immer bereit ist, sich die letzten Neuigkeiten über Omas Rheuma anzuhören und über jeden Witz von Opa zu lachen. Ihr Hinterteil ist auf jeden Fall zu mächtig. Sie tut auf jeden Fall zu viele Zuckerstücke in ihren Kaffee, zumindest im Hinblick auf das Hinterteil, und noch dazu Sahne, wenn sie die Menge auch verringert, nachdem sie sich den Weight Watchers angeschlossen hat. Und ihre Tochter wird genauso. Als Sechsjährige hat sie so große Brüste, dass Oma sagt, sie erinnerten sie an ihre eigenen. Bald gibt es dann zwei Stück Hinterteile, deren Zuckerverbrauch Opa im Auge behalten muss. Das dürfte der einzige Punkt sein, bei dem Mutter und Anna in den Augen der Schwiegereltern auf der Siegerseite stehen.
Mutter bemüht sich, das Ende des Kaffeetrinkens zu beschleunigen, weil sie raus in den Wald und von dort möglichst spät zurückkommen möchte. Ihr Glück, dass Vati Pilze liebt und sehr gern in den Pilzwald geht. Allerdings mag auch Vati nicht mit den Frauen der Familie in der Stube sitzen und plaudern, sondern lässt Mutter, kaum dass er seine Tasse geleert hat, mit den anderen Frauen allein und geht selbst hinaus, um sich die Beine zu vertreten.
Während der ersten Tasse Kaffee steht Oma neben demHerd, ihre Tasse in der Hand, während für die anderen der Tisch mit weißen Tassen, ziemlich kleinen, gedeckt ist. Omas Tasse ist ein Einzelstück mit Margeriten darauf. Zu diesem Zeitpunkt sind die Männer noch im Hause, und Oma lacht ein bisschen über die Geschichten der anderen, sagt aber selbst nichts. Wenn sie zu laut lacht, sagt Opa, was ist mit dir, und Oma verstummt. Was ist mit dir ist ein Witz, über den alle lachen müssen, aber Mutter findet ihn überhaupt nicht lustig.
Wenn Vati mit den anderen Männern zusammen hinausgeht, setzt Oma sich an den Tisch und beteiligt sich an der Unterhaltung der Frauen über Ester und Irja und Irjas Sohn und Schwiegertochter und den Hund der Schwiegertochter, die im Kirchdorf wohnen. Und über Taavetti, Pekka Perälä und seine Mutter. Über den Krebs und den Arzt von Pekkas Mutter und die Verlobte des Arztes.
Was machst du denn jetzt so? Du bist eine richtige Hausfrau, oder?, fragt die breitärschige junge Frau des Onkels die Mutter.
Ja, Hausfrau.
Aha.
Die Tochter von Vatis Schwester sitzt am Fußboden vor Mutter und starrt sie mit offenem Mund an.
Anna weiß, was die Frauen in der Stube reden, wenn Mutter mit Vati in die Pilze geht. Sie sagen, dein Sohn ernährt die da.
Und Oma nickt.
Das tut mein Sohn.
Und nickt noch mehr.
Aber was wissen die schon davon, was es bedeutet, eine estnische Diplomingenieurin Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre in Finnland zu sein?
Das ist nichts.
Anna wusste immer, dass jemand nach Mutters Berufstätigkeit gefragt hatte, wenn Vati anfing, Selbstgespräche über Ingenieurkühe zu führen. Aus seinem Gebrummel konnte sie schließen, was in Bezug auf Mutter oder mich lamentiert worden war, es war niemals etwas Positives. Ansonsten erzählte Vati nichts von dem, was die anderen redeten, wie auch sonst von nichts.
Diese Eigenschaft garantierte ihm ständig Arbeit in der Sowjetunion – selbst wenn man ihn eimerweise mit Schnaps traktiert hätte, er hätte sich nicht verplappert, egal, wie betrunken er war, er schlief ein, bevor er anfing zu reden. Und wenn man ihn in der Grube , der besten Valutabar von Moskau, wo alle wichtigen Leute hingingen, noch so sehr unter Alkohol gesetzt hatte, verweigerte er sich doch obskuren Geschäften und Transportaufträgen, oder er führte sie einfach nie aus. Mutter bekam manchmal in Finnland zu hören, dass es wieder allen
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