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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofi Oksanen
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Schlafzimmers. Zwischen Großmutters Zimmer und dem Telefon lagen der Korridor, die Küche und noch ein Zimmer.
    Schließlich ging auch das Telefon der Tante kaputt, es war stumm, aus irgendeinem Grund funktionierte es nicht. Und aus irgendeinem Grund gerade dann, wenn Großmutter allein war und versuchte, Mutter anzurufen. Wer machte das, und warum? Linda, Maria, wer? Wem nützte das?
    Großmutter verdächtigte abwechselnd Linda und Maria, Mutter verdächtigte jeden, ich schwieg und hörte mir an, wie einer nach dem anderen verdächtigt und gleichzeitig als boshaft und gemein bezeichnet wurde, denn der Mensch war boshaft und gemein. Und vor allem gierig. Der Sozialismus würde niemals anderswo als auf dem Papier gelingen, und zwar einzig und allein aus dem Grund, weil sich die Finger aller Menschen nur in Richtung aufsich selbst, nach innen, krümmten, auch wenn die Hand sich ausstreckte, um zu geben. Dieses Zeichen machte Mutter überall, wenn sie Wünsche und Schmeicheleien anhörte, sie krümmte die Finger zusammen wie ein Raubvogel die Klauen.

IM
SOMMER
AUF dem Land kümmerten sich vor allem Talvi und ihre Kinder um die Post. Die beiden ältesten waren Mädchen, und sie wollten sehr gern mit mir Bekanntschaft schließen. Sie waren schon groß und erzählten die Geschichten großer Mädchen. Ich hörte nur zu und schaute und bekam von ihnen viele Geschenke, eine große Tasche voller Haarnadeln und Make-up, die nach Frau klangen, wenn sie in der Tasche klapperten, und nach Zeit rochen so wie alt gewordene Lippenstifte. Mutter war nicht ebenso begeistert von den Geschenken wie ich und murmelte etwas von Glasperlen, die ich gegen Diamanten eingetauscht hätte.
    Und wieder konnte Mutter kein böses Wort sagen, sonst war der Briefverkehr erneut gefährdet. Andererseits wussten Talvis Töchter, dass ihre Kleiderwünsche bedroht waren, wenn Mutters und Großmutters Buchführung zeigte, dass ein Brief verloren gegangen war. Für einen Trainingsanzug funktionierte die Post ein ganzes Jahr lang glatt und sicher. Anfangs. Später bedurfte es außerdem noch eines Deodorants und anderer Artikel sowie immer mehr Tipps für die Jagd auf Männer. Jetzt schrieben die Mädchen auch selbst und fragten nach finnischen oder ganz allgemein nach ausländischen Männern. Ma tahaksin ikkagi abielluda välismaalasega. Die Mädchen hatten beschlossen, einen Ausländer zu heiraten, so wie meine Mutter, ihr Idol. Auch sie würden ins Ausland gehen. Vielleicht nach Amerika. Vielleicht nach Finnland. Oder nach Schweden. Wie also hatte Mutter es geschafft, einen Finnen zu heiraten … wie hatte sie ihn gefunden … wo … wie … Ütle siis mida sa tegid! Kuidas see juhtus? Manchmal boten die Töchter auch Geld an, äußerten noch mehr Wünsche, aber Mutter war zu einer Geschäftstätigkeit mit ihnen nicht bereit, sondern fürchtete eine Falle. Tauschgeschäfte, bei denen kein Geld im Spiel war, die gingen, aber mit den Rubeln von Talvis Töchtern irgendwelche Spielchen zu machen, das ging nicht. Talvi betreute die Angelegenheiten des Kolchos mit sicherer und gieriger Hand, die viel zu rot war, als dass Mutter das Risiko eingegangen wäre.
    Auch Mutters alte Bekannte und einige Frauen aus dem Dorf fragten, wie hast du es nur geschafft, erzähl doch mal, wie du das gemacht hast, erzähl … Hattest du beschlossen … Was für Tricks hast du angewandt … Du hast ja wohl … Aus der Fragerei wurde etwas, was dasselbe bedeutet wie Belästigung. Oder Verhör. Etwas, worauf man nicht wahrheitsgemäß antworten konnte, denn das, was man selbst für Wahrheit hielt, glaubte niemand.
    Niemand glaubte ihr, wenn Mutter erzählte, dass es in Finnland Arbeitslosigkeit gab, dass die Lebensmittel teuer waren und auch die Wohnungen und dass es vom Geld abhing, eine zu bekommen, und nicht nur von der Länge der Wohnungsschlangen, von Beziehungen oder der Anzahl der Kinder. Und die Telefonkosten wurden in Finnland nach Gebühreneinheiten berechnet, und nicht so, dass man den ganzen Abend für ein paar Kopeken, die man einmal bezahlt hatte, telefonieren konnte. Das glaubte niemand, denn IN DER FREIHEIT war so etwas doch nicht möglich.
    Hat man dir befohlen, so zu sprechen?
    Das wurde Mutter gefragt, wenn sie die Wahrheit sagte.
    Nein, wer sollte es mir befohlen haben?
    Na »die«.
    Wer »die«??
    » DIE «!

    Mutter antwortete selten oder vage. Je absurder das war, was sie sagte, desto zufriedener waren die Frager, nahmen diese Absurditäten ernst und

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