Stalins Kühe
aus dem Kopf weinen? Zwar würde wohl der Hund bellen, wenn Fremde um das Haus schlichen, aber die da vor dem Fenster sind ja nicht unbedingt Fremde. Und dann sagt die Schwester auch noch etwas über Arnold, nicht wahr, und Sofia bringt Maria sofort zum Schweigen, indem sie weiter nach Edgar Pohjala fragt. Lieber über Pohjala als über Arnold sprechen.
Maria erzählt, dass der Sicherheitsdienst nach Edgar Pohjalas Tod zum Unterstand von Pohjalas Gruppe geschlichen sei und die schlafenden Männer im Unterstand erschossen habe. Niemand sei entkommen. Der Sicherheitsdienst habe die Leichen aufeinandergestapelt, obendrauf Äste gelegt und alles angezündet, ein richtiges Siegesfeuer. Für diese Taten würden die Teufel Orden bekommen.
Als die Angehörigen von der Sache erfahren und sich an die Stelle wagen, finden sie dort einen versengten Haufen Fleisch. Zuoberst liegt der Sohn der Toodermanns, das Gesicht ist noch da, weil die Hände es geschützt haben, nur der Rücken ist ordentlich verbrannt, seine Beine sind gefesselt – er ist nicht sofort gestorben, sondern hat trotz seiner Verwundung versucht, fortzukriechen, ist aber erwischt, mit einem Seil zum Feuer geschleift und auf den Haufen geworfen worden.
Marias Weinen übertönt ihre Worte. Warum konnten sie ihn nicht gleich töten, warum mussten sie ihn bei lebendigem Leibe verbrennen? Ist denn das alles nicht genug? Maria war in den Sohn der Toodermanns verliebt gewesen, er war ein so schöner Junge. Und als wäre das noch nicht genug, würde Maria es nicht ertragen, wenn Elmer, ihrem Lieblingsbruder, etwas zustieße, natürlich stößt dort im Wald allen etwas zu, sie haben lange nichts von Elmer gehört, Sofia muss etwas wissen, Sofia weiß doch, wo Elmer sich aufhält, ist er wohlauf? Holt er sich von Sofia Lebensmittel, ist er mit Arnold zusammen? Oder mit Richard? Und was ist mit August?
Es ist besser, du weißt es nicht.
Du weißt es also! Erzähl es mir sofort!
Ich weiß es nicht, und ich will es auch nicht wissen, und ich will auch nicht, dass du es weißt.
Du musst es erzählen, du weißt, dass ich es wissen muss!
Die dumme Kuh, sie soll still sein. Nachdem Maria die Geschichte des Toodermann-Sohns nun hat zum Besten geben können, wird sie garantiert nicht den Mund halten, sondern ihr ekelhaftes Bohren fortsetzen. Sollte Sofia vielleicht einen Beruhigungstee kochen und ihr auch einen Klaren einschenken?
1945
Jeder Morgen ist gut, an dem Sofia bemerkt, dass sich im Brunnen nichts mehr findet, was in die Meierei gebracht werden muss – Arnold hat, wie vereinbart, nachts die Milch geholt. Auch die anderen, deren Angehörige sich im Wald verstecken, bringen Lebensmittel zu Sofia ins Haus, das günstig am Waldrand liegt. Dorthin kann ein Waldbruder leicht und nahezu unbemerkt huschen. Wenn jedoch das Wetter im Winter so klar ist, dass kein Schnee die Spuren bedecken kann, holt Sofia mit dem Pferd Holz aus dem Wald und hinterlässt an der verabredeten Stelle eine Tasche mit Lebensmitteln. Bei Sturm kann Arnold gut nach Hause kommen. Die Sicht ist schlecht, und die Spuren verschwinden sofort. Manchmal holt Arnold nur die Lebensmittel, manchmal kommt er auch ins Haus. Am sichersten ist es jedoch, nur die Lebensmittel zu holen. Im Sommer ist es leichter. Oft findet sich an der Stelle für die Lebensmitteltasche ein Korb mit Beeren.
Die russische Propaganda verbreitet Gerüchte, dass denjenigen, die aus dem Wald herauskommen, alles verziehen werde. Sie appelliert an Ehefrauen, Geschwister, Eltern und Freunde. Ein Flugzeug wirft über dem Wald Flugblätter ab, in denen gute Absichten beteuert werden.
Einige wollen das glauben.
Sie werden nach Sibirien geschickt oder erschossen.
1945
Die Verpflegung für Elmer, Richard und Arnold ist beisammen und im Versteck, zehn Kilo Sauerkraut und drei Liter Honig pro Mann, die Trockennahrung in Milchtransportkannen, gesalzener Speck im Holzfässchen … Damit kommt man durch. Jeder von ihnen hat gerade seine privaten Lebensmittelvorräte versteckt, und nachdem sie sich an der verabredeten Stelle getroffen haben, kehren die Männer zusammen zu ihrem Unterstand zurück.
Elmer bleibt stehen und zeigt auf die Signalfäden, die sie um den Unterstand herum gezogen haben. Sie sind zerrissen. Und zwar beide, der obere, der die großen Tiere verrät, und der untere, der Vögel und kleinere Tiere verrät. Andere Spuren gibt es nicht. Nur die zerrissenen Fäden. Es muss ein Mensch sein. Die Waldbrüder wollen gerade
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