Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Ihrem kriminellen Charakter zu wissen. Ich werde behaupten, Sie hätten mich ausgetrickst und belogen, und dann rauche ich eine Zigarre, während Sie gehängt werden. Aber keine Sorge, ich werde ein Gebet für Ihr Seelenheil sprechen.»
Der Gedanke an sein verlorenes Seelenheil ließ Starbuck an all die Gebete denken, die sein Bruder an ihn verschwendet hatte. «Haben Sie meinen Bruder gesehen?», fragte Starbuck, als sie sich zwischen den abgestellten Geschützen auf die Infanteristen zubewegten, die an der Straße rasteten.
«Er hat Ihre Unschuld beteuert. Ihr Bruder, denke ich, ist nicht gerade ein geborener Soldat.» Das war eine überaus wohlwollende Beurteilung. «Ich habe den größten Teil der Schlacht bei Bull Run in der Gesellschaft Ihres Bruders verbracht. Er liebt die Einengung durch Regeln und Anordnungen. Er ist kein Draufgänger, denke ich. Armeen könnten ohne diese vorsichtigen Männer nicht überleben, aber Draufgänger haben sie noch nötiger.»
«James ist ein guter Anwalt», brachte Starbuck zur Verteidigung seines Bruders vor.
«Warum seid Ihr Amerikaner eigentlich so stolz auf eure Anwälte? Anwälte sind doch nur ein Symptom für eine streitsüchtige Gesellschaft, und jeder Cent, den man einem Anwalt gibt, ist ein Schluck Champagner, eine eroberte Frau oder eine gerauchte Zigarre weniger. Zum Teufel mit dem ganzen Blutsaugerpack, sage ich, auch wenn ich sicher bin, dass Ihr Bruder im Vergleich zu den anderen ein wahrer Engel ist. Sergeant!» Lassan hatte zu einem der Infanteristen hinübergerufen. «Zu welcher Einheit gehören Sie?»
Der Sergeant, überzeugt durch Lassans zur Schau getragene Autorität, sagte, seine Einheit sei das 1 st Minnesota aus der Brigade General Gormans. «Wissen Sie, was los ist, Sir?», fragte der Sergeant.
«Die verdammten Rebellen machen ein bisschen Theater, Sergeant. Aber Sie werden schon bald die Gelegenheit bekommen, ihnen eine ordentliche Abreibung zu verpassen. Viel Glück!» Lassan ritt weiter, trabte zwischen den tiefen Schlammfurchen der Straße und der wartenden Infanterie hindurch. «Das ist General Sumners Korps», erklärte er Starbuck. «Sumner muss dicht zur Brücke aufgeschlossen haben, was bedeutet, dass er auf den Angriffsbefehl wartet, aber er wird ihn wohl kaum allzu bald bekommen. Unser neuer Napoleon ist offenbar nicht davon überzeugt, dass heute Eile geboten ist. Er ist krank, aber er sollte trotzdem ein wenig aktiver sein.»
«Mögen Sie McClellan nicht?», fragte Starbuck.
«Mögen?» Der Franzose dachte einen Moment über die Frage nach. «Nein, nicht besonders. Er ist ein guter Exerziermeister, aber kein guter General. Er ist nichts weiter als ein aufgeblasener kleiner Mann, der unter schwerer Selbstüberschätzung leidet. Das würde keine Rolle spielen, wenn er Schlachten gewinnen würde, aber er scheint nicht imstande, überhaupt eine Schlacht zu führen, vom Gewinnen einmal ganz abgesehen. Bis jetzt hat er auf diesem Feldzug nichts anderes getan, als die Rebellen zu bedrängen, sie mit seiner Übermacht zum schrittweisen Rückzug zu bringen, aber er hat noch nicht gegen sie gekämpft. Er fürchtet sich vor ihnen! Er glaubt, sie hätten zweihunderttausend Mann!» Lassan stieß ein bellendes Lachen aus, dann deutete er auf einen glänzenden Telegraphendraht, der an Behelfspfosten neben der Straße entlang gespannt war. «Das ist unser Problem, Starbuck. Was ist, wenn unser Freund Thorne voraustelegraphiert hat, was? Vielleicht werden Sie an der Brücke schon erwartet. Vermutlich werden Sie an dem Galgen in Fort Monroe aufgeknüpft. Die letzte Tasse Kaffee, eine Zigarre, schnell den dreiundzwanzigsten Psalm heruntergeleiert, dann stülpen Sie Ihnen die Kapuze über den Kopf und lassen Sie durch die Falltür sausen. Ein schneller Tod, heißt es. Viel besser als erschießen. Haben Sie schon mal einem Erschießungskommando zugesehen?»
«Nein.»
«Kommt noch. Mich wundert es immer, wie oft so ein Kommando danebentrifft. Man stellt die Mistkerle in zehn Schritt Entfernung auf, steckt dem armen Mann dort ein Stück Papier an die Brust, wo das Herz ist, und trotzdem durchlöchern sie ihm Leber, Ellbogen und Blase. Eigentlich schießen sie an sämtliche Stellen, die den armen Teufel nicht von seinem Elend erlösen, was bedeutet, dass der Offizier hingehen muss, um dem Mann, der sich da auf dem Boden krümmt, den Gnadenschuss in den Kopf zu verpassen. Meinen ersten vergesse ich nie. Meine Hand hat gezittert wie Espenlaub, und der arme
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