Stark (Dark Half)
hinaufstieg, kam er an drei toten Sperlingen vorbei, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen.
Er verließ die East Second Street zu Fuß — aber er wanderte nicht lange. Ein entschlossener Mann, hatte er festgestellt, findet immer eine Fahrgelegenheit, wenn er eine braucht.
Zwanzigstes Kapitel
Die Frist ist abgelaufe
Der Tag, an dem Thad Beaumonts Gnadenfrist endete, hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Tag Mitte Juli als einem in der dritten Juniwoche. Thad fuhr die achtzehn Meilen zur University of Maine unter einem Himmel von der Farbe dunstigen Chroms, und die Klimaanlage in seinem Suburban lief auf Hochtouren, ungeachtet ihrer verheerenden Auswirkung auf den Benzinverbrauch. Ihm folgte ein dunkelbrauner Plymouth. Er kam nie näher als bis auf zwei Wagenlängen heran, fiel aber auch nie weiter als auf fünf zurück. Nur selten gestattete er einem anderen Wagen, zwischen sich und Thads Suburban zu kommen; wenn sich an einer Kreuzung oder in der Schulzone in Veazie zufällig einer in die Zwei-Wagen-Kolonne einfädelte, dann überholte der braune Plymouth rasch — und wenn das nicht sofort möglich war, zog einer von Thads Beschützern die Haube vom Blaulicht auf dem Armaturenbrett und ließ es ein paarmal aufleuchten.
Thad fuhr überwiegend mit der rechten Hand und benutzte die linke nur, wenn es unbedingt nötig war. Die Hand war inzwischen etwas besser geworden, aber sie schmerzte immer noch teuflisch, wenn er sie nicht vorsichtig genug bewegte oder die Finger beugte, und er ertappte sich immer noch dabei, daß er die letzten paar Minuten der Stunde zählte, nach deren Ablauf er eine weitere Percodan einnehmen konnte.
Liz hatte nicht gewollt, daß er zur Universität fuhr, und die zu ihrer Bewachung abgestellten Staatspolizisten hatten es auch nicht gewollt. Für sie lagen die Dinge ganz einfach: sie hatten ihr Vier-Mann-Team nicht teilen wollen. Bei Liz war es etwas komplizierter. Das, wovon sie redete, war seine Hand; sie sagte, die Wunde könnte wieder aufbrechen, wenn er zu fahren versuchte. Aber in ihren Augen lag etwas völlig anderes.
Ihre Augen waren voll von George Stark.
»Was zum Teufel ist denn so wichtig, daß du überhaupt fahren mußt?« hatte sie wissen wollen, und das war eine Frage, auf die er gefaßt sein mußte, denn das Semester war schon seit geraumer Zeit vorüber, und er hielt keine Sommerkurse ab. Was er sich schließlich ausgedacht hatte, waren die Unterlagen für den Sonderkurs.
Sechzig Studenten hatten sich für den von der Fakultät angebotenen Sonderkurs über kreatives Schreiben angemeldet. Das waren etwas mehr als doppelt so viele, als sich im letzten Herbstsemester für diesen Kurs beworben hatten, aber damals (elementar, mein lieber Watson) hatte die Welt - einschließlich des Teils, der an der University of Maine Englisch studierte — noch nicht gewußt, daß der langweilige alte Thad Beaumont gleichzeitig der tolle George Stark war.
Also hatte er Liz gesagt, er wollte diese Unterlagen holen und sie durcharbeiten, um aus den sechzig Bewerbern fünfzehn auszuwählen - sie waren das Maximum, das er für einen Kurs über kreatives Schreiben annehmen konnte (und wahrscheinlich vierzehn mehr, als er tatsächlich unterrichten konnte).
Natürlich hatte sie wissen wollen, warum er das nicht aufschieben konnte, mindestens bis Ende Juli, und natürlich hatte sie ihn darauf hingewiesen, daß er es im Vorjahr bis Mitte August aufgeschoben hatte. Er hatte auf die stark gestiegene Zahl der Bewerbungen verwiesen und dann tugendhaft hinzugesetzt, er wollte die Trödelei des letzten Sommers nicht zur Gewohnheit werden lassen.
Schließlich hatte sie aufgehört, Einwände zu erheben - nicht, weil seine Argumente sie überzeugt hatten, dachte er, sondern weil sie begriffen hatte, daß er unbedingt fahren wollte. Sie wußte ebenso gut wie er, daß sie früher oder später auch wieder hinaus mußten; sich im Haus verstecken zu müssen, bis irgend jemand George Stark getötet oder verhaftet hatte, war keine sehr erfreuliche Alternative. Dennoch waren ihre Augen voll gewesen von einer dumpfen, fragenden Angst.
Thad hatte sie und die Zwillinge geküßt und war schnell gegangen. Sie sah aus, als würde sie gleich weinen, und wenn er noch da war, wenn sie das tat, dann würde er zu Hause bleiben.
Es ging natürlich nicht um die Bewerbungen für den Sonderkurs.
Die Frist war abgelaufen.
Als er an diesem Morgen aufgewacht war, war er selbst von dumpfer Angst erfüllt gewesen, einem Gefühl, das so
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