Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stark (Dark Half)

Stark (Dark Half)

Titel: Stark (Dark Half) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Stark, als er aus dem Civic ausstieg und davonging. Das war gut, denn wenn sie ihn gesehen hätten, hätten sie sich bestimmt an ihn erinnert.
    Sich erinnern — ja.
    Aber beschreiben - nein.
    Als Stark den Asphalt überquerte und sich dann zu Fuß auf den Weg zum Haus der Beaumonts machte, hatte er sehr viel Ähnlichkeit mit H. G. Wells' Unsichtbarem Mann. Ein breiter Verband verdeckte seine Stirn von den Augenbrauen bis zum Haaransatz. Ein weiterer Verband bedeckte Kinn und Unterkiefer. Auf seinem Kopf saß eine Baseballmütze der New York Yankees. Außerdem trug er eine Sonnenbrille und schwarze Handschuhe.
    Die Verbände waren fleckig von einer gelben, eitrigen Flüssigkeit, die unablässig durch den Mull hindurchsickerte wie klebrige Tränen. Noch mehr von dieser gelben Flüssigkeit tröpfelte unter der Sonnenbrille heraus. Von Zeit zu Zeit wischte er sie mit den Handschuhen von den Wangen. Handflächen und Finger dieser Handschuhe aus dünner Glaceleder-Imitation waren klebrig von dem trocknenden Sekret. Unter den Bandagen hatte sich ein großer Teil der Haut aufgelöst. Was übrig geblieben war, war im Grunde kein menschliches Fleisch mehr, sondern eine dunkle, schwammige Masse, die ununterbrochen näßte. Das Sekret sah aus wie Eiter und roch unangenehm — ungefähr wie eine Mischung aus starkem Kaffee und Ausziehtusche.
    Er ging mit leicht nach vorn gebeugtem Kopf. Die Leute in den paar Wagen, die ihm entgegenkamen, sahen einen Mann mit einer Baseballmütze, der wegen der gleißenden Helligkeit den Kopf gesenkt hielt und die Hände in die Taschen gesteckt hatte. Sie hätten schon sehr genau hinsehen müssen, um unter dem Mützenschirm etwas zu erkennen, und wenn sie das getan hätten, dann hätten sie nur die Verbände gesehen. Die Leute in den Wagen, die von hinten kamen und auf ihrer Fahrt nach Norden an ihm vorbeifuhren, konnten ohnehin nur seinen Rücken genauer betrachten.
    In größerer Nähe der Doppelstadt Bangor und Brewer wäre dieser Spaziergang problematischer gewesen.
    Dort gab es belebte Vorstädte und Siedlungen. Der Teil von Ludlow, in dem die Beaumonts wohnten, lag immer noch weit genug draußen, um als ländliche Gegend zu gelten - nicht am Ende der Welt, aber doch entschieden nicht im Weichbild einer der Großstädte. Die Häuser standen zum Teil auf sehr großen Grundstücken und waren voneinander nicht durch die in Vorstädten allgegenwärtigen Hecken getrennt, sondern durch schmale Baumgürtel, gelegentlich auch durch Mauern aus Naturstein. Hier und da ragten schüsselförmige Satelliten-Antennen am Horizont auf; sie sahen aus wie vorgeschobene Außenposten einer Invasion aus dem Weltraum.
    Stark wanderte am Straßenrand entlang, bis er das Haus der Clarks ereicht hatte. Das nächste war das der Beaumonts. Stark durchquerte hintere Ecke des Clarkschen Vorgartens, in dem das Gras lange nicht gemäht worden war. Er warf einen Blick auf das Haus. Die Jalousien waren der Hitze wegen heruntergelassen, das Garagentor fest verschlossen. Das Haus machte nicht nur den Eindruck vormittäglicher Verlassenheit; es hatte die verlorene Aura eines Hauses, das seit einiger Zeit leersteht. Vor der Haustür hatten sich zwar keine Zeitungen angesammelt, aber Stark vermutete trotzdem, daß die Clarks bereits in den Sommerurlaub gefahren waren. Das konnte ihm nur recht sein. Er gelangte in die Baumreihe zwischen den beiden Grundstücken, kletterte über die Reste einer zerfallenen Steinmauer und ließ sich dann auf ein Knie nieder. Zum ersten Mal sah er das Haus seines halsstarrigen Zwillings. Auf der Auffahrt parkte ein Streifenwagen, und die beiden dazugehörenden Polizisten standen im Schatten eines nahen Baumes, rauchten und unterhielten sich.

    Er hatte, was er brauchte; der Rest war ein Kinderspiel. Dennoch blieb er noch einen Augenblick stehen. Er hielt sich weder für Phantasie begabt - zumindest nicht außerhalb der Seiten der Bücher, an deren Niederschrift er einen entscheidenden Anteil gehabt hatte - noch für besonders erregbar; deshalb überraschte ihn die dumpfe Glut aus Wut und Ressentiment, die er in seinen Eingeweiden glimmen spürte.
    Welches Recht hatte dieser Mistkerl, sich seiner zu entledigen? Welches gottverdammte Recht? Weil er schon vor ihm ein realer Mensch gewesen war? Weil Stark selbst nicht wußte, warum oder wann er seinerseits in die Realität eingetreten war? Das war Unsinn. Was George Stark anging, hatte Anciennität nicht das geringste zu besagen. Es war nicht seine

Weitere Kostenlose Bücher