Stark (Dark Half)
Man sagt, man kriegte es heraus, wenn man den Fleck schnell mit kaltem Wasser ausspült, aber das stimmt nicht. Sie haben Geräte. Spektroskope, Gaschromatographen. Ultraviolett. Lady Macbeth hatte recht.
»Wenn dieser böse Gedanke wiederkommt, sehe ich es in deinen Augen. So große, dunkle Augen. Du willst doch nicht, dass eines dieser großen, dunklen Augen über deine Backe herunterläuft, oder?«
Sie schüttelte den Kopf so schnell und heftig, dass ihr das Haar ums Gesicht wirbelte. Und die ganze Zeit, während sie den Kopf schüttelte, ließen diese herrlichen dunklen Augen nie sein Gesicht los, und der blonde Mann spürte, wie sich an seinem Bein etwas regte. Sir, haben Sie einen Zollstock in der Tasche, oder sind Sie nur glücklich, mich zu sehen?
Diesmal berührte das Lächeln außer seinem Mund auch seine Augen, und er hatte den Eindruck, dass sie sich ein ganz klein wenig entspannte.
»Ich will, daß du dich vorbeugst und Thad Beaumonts Nummer wählst.«
Sie starrte ihn nur an, mit vor Schock geweiteten Augen.
»Beaumont«, sagte er geduldig. »Der Schriftsteller. Tu es, Mädchen. Die Zeit enteilt mit den geflügelten Füßen Merkurs.«
»Mein Buch«, sagte sie. Ihr Mund war jetzt so geschwol en, daß sie ihn kaum noch schließen konnte, und es wurde schwerer, sie zu verstehen. Es klang wie ei uch.
»Was?« fragte er. »Rede vernünftig, Mädchen.«
Sorgfältig, unter Schmerzen, formulierte sie: »Mein Buch. Mein Adreßbuch. Ich weiß seine Nummer nicht.«
Das Rasiermesser glitt durch die Luft auf sie zu. Es schien ein Geräusch zu machen wie das Flüstern eines Menschen. Vermutlich war das nur Einbildung, aber sie hörten es beide. Sie drückte sich noch tiefer in die weizenfarbenen Kissen; die geschwollenen Lippen verzogen sich zu einer Grimasse. Er drehte die Klinge so, daß sie das schwache, sanfte Licht der Stehlampe einfing. Er neigte sie, ließ das Licht darauf entlanglaufen wie Wasser, dann sah er sie an, als wären sie beide verrückt, wenn sie so etwas Herrliches nicht bewunderten.
»Scheiß mich nicht an, Mädchen. Das ist etwas, das du auf gar keinen Fall tun solltest. Und nun wähl seine Nummer.« Vielleicht hatte sie Beaumonts Nummer nicht im Kopf, mit ihm waren keine großen Geschäfte zu machen, aber sie mußte Starks Nummer kennen. In der Branche war Stark der Mann, der den Rubel rol en ließ, und zufäl ig hatten beide Männer die gleiche Nummer.
Aus ihren Augen begannen Tränen zu rinnen. »Ich weiß sie nicht«, stöhnte sie. I weischi nich.
Der blonde Mann hob das Rasiermesser - nicht, weil er wütend auf sie war, sondern nur deshalb, weil es immer zu weiteren Lügen führte, wenn man jemandem die erste Lüge durchgehen ließ. Doch dann änderte er seine Ansicht. Es war durchaus möglich, daß sie so belanglose Dinge wie Telefonnummern, selbst die von so wichtigen Klienten wie Beaumont/Stark, einfach vergessen hatte. Sie stand unter Schock. Wenn er sie aufgefordert hätte, die Nummer der Agentur ihres eigenen Exgatten zu wählen, in der sie arbeitete, wäre ihr Gedächtnis vermutlich ebenso leer gewesen.
Aber da es sich um Thad Beaumont handelte und nicht um Rick Cowley, konnte er helfen.
»Okay«, sagte er. »Okay, Mädchen. Du bist nervös. Das verstehe ich. Ich weiß nicht, ob du es glaubst oder nicht, aber ich habe sogar ein bißchen Mitleid mit dir. Außerdem hast du Glück, weil ich die Nummer zufäl ig selber weiß. Ich kenne sie so gut wie meine eigene, könnte man sagen. Und weißt du, was? Du brauchst nicht einmal selbst zu wählen - nicht nur, weil ich keine Lust habe, hier herumzusitzen und zu warten, bis es in der Hölle schneit, sondern auch deshalb, weil ich Mitleid mit dir habe. Ich beuge mich vor und wähle die Nummer.
Weißt du, was das bedeutet?«
Miriam Cowley schüttelte den Kopf. Ihre dunklen Augen schienen fast ihr ganzes Gesicht aufgezehrt zu haben.
»Es bedeutet, daß ich dir vertraue. Aber nur so weit und nicht weiter, Mädchen. Hörst du mir zu? Hast du verstanden?«
Miriam nickte abermals so heftig, daß ihr die Haare um den Kopf flogen. Gott, er liebte Frauen mit einer Menge Haar.
»Gut. Das ist gut. Und während ich es tue, wendest du den Blick nicht von dieser Klinge ab. Das wird dir helfen, in deinen glücklichen Gedanken Ordnung zu halten.«
Er beugte sich vor und ließ die altmodische Wählscheibe rotieren. Aus dem Anrufbeantworter neben dem Apparat kamen verstärkte Pieptöne. Miriam Cowley saß da, hielt den Telefonhörer auf dem
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