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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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schicken möge, und gesagt bekam: »In sechs Tagen hätten wir abends um neun noch was frei.« Sechs Tage Warten sind ganz normal in Amerika, weil überall die Rohre platzen und »Bruno & Campisi« flicken, flicken, flicken. Wir sind nicht allein.
    Die Frau spülte eher widerwillig in der Badewanne, was sein muss, muss sein.
    Nach sechs Tagen klingelte es abends um neun, und draußen stand Sal, ein hünenhafter Angestellter von »Bruni & Campisi«. Die Frau des Hauses zeigte Sal das Leck unter der Spüle und erklärte ihm, dass das Wasserrohr allerdings draußen verlaufe und er, um zum geborstenen Rohr zu kommen, durch ein Loch in der Terrasse schlüpfen müsse, und daraufhin verfinsterte sich seine Miene. Sie stellte Sal auch die Sinnfrage: »Warum verlaufen Wasserrohre in Amerika eigentlich draußen an den Häuserwänden?«, und Sal antwortete entwaffnend ehrlich: »Wie sollen wir sonst denn drankommen, wenn sie platzen?« Die Frau erwiderte, dass Wasserrohre vermutlich gar nicht erst platzen würden, wenn sie wie in good Old Europe drinnen …, aber in diesem Moment schrie Sal auch schon. Wir dachten, sein Blinddarm sei durchgebrochen, mindestens. Aber Sal deutete auf die Spüle und stotterte: »Da, da, da«, doch »da, da, da« war nichts außer einer winzigen Spinne. Sal, lernten wir, litt unter Spinnenphobie und bedeutete uns, dass er nicht der Richtige sei für diese Art von Reparatur wegen der Spinne in der Spüle und dem Loch unter der Terrasse. Dann verließ Sal das Haus.
    Drei Tage später erschien unser Dave. Die Töchter begrüßten ihn wie einen alten Bekannten, »Hi Dave«. Er schlüpfte durch das Loch in der Terrasse, robbte bis zum kaputten Rohr und flickte es, während er Beethovens Neunte pfiff. Wir haben uns selten so über Dave gefreut.



Grüße aus Sing Sing
Patriotismus, Gesetze und Verbote
    Die Töchter nahmen ihre neue Heimat mit famoser Geschwindigkeit auf. Nach einigen Wochen formulierten sie ganze Sätze, die weit über »Sugar, please, sugar« hinausgingen. Sie wurden schneller amerikanisch, als wir erwartet hatten. Zwei Monate nach unserer Ankunft sprach die jüngere: »Ich würde gerne mal Schlittschuhlaufen lernen.« Die jüngere Tochter war und ist die sportlichere der beiden, und ihre Schwester schloss sich eher widerwillig an. Und so lernten sie Schlittschuhlaufen in einer alten Eishalle in Rye Playland, einem morbiden Vergnügungspark mit morbiden Karussells drin. Kurz vor Weihnachten nahmen die Töchter des Hauses an ihrer ersten Aufführung in Amerika teil, einem Tribut für die Opfer des 11. September. Die Veranstaltung stand unter dem Motto »United we stand«, und aus diesem Grund mussten sie in den Landesfarben blau, weiß und rot eingekleidet werden und eine kleine US-Fahne schwingen, während sie übers Eis liefen. Ich war vom patriotischen Klang der Vorführung nur partiell begeistert, aber die Frau grollte: »Nun lass sie doch. Wenn's ihnen Spaß macht, und außerdem würde dir ein bisschen Sport auch nicht schaden.« Ein hellblaues Faltblatt lag aus mit den Namen aller teilnehmenden Kinder. Eltern und Großeltern und Freunde saßen auf morschen Bänken in der Eishalle, eine blonde Ansagerin mit Pferdeschwanz, blauem Hemd, roter Hose und weißem Gürtel hieß uns alle willkommen und sagte, wir könnten stolz sein, solche Kinder zu haben. Dann lief Bruce Springsteens »Born in the U-S-A« vom Band, und die Kinder der stolzen Eltern kamen aufs Eis gelaufen in blauen Hemden, roten Hosen, weißem Gürtel um die Hüften und US-Fähnchen in der linken Hand. Ich beugte mich zur Frau und sagte vielleicht eine Spur zu hämisch: »Wissen die eigentlich, dass Springsteen dieses Lied aus Protest geschrieben hat und es alles andere als patriotisch ist«, aber die Frau sagte nur: »Nun sei doch nicht immer so kritisch, du Stinkstiefel. Guck lieber deinen Töchtern zu.«
    Aus dem ursprünglichen Motto »United we stand« wurde auf dem Eis sehr schnell »United we fall«, unsere Töchter leider vorneweg, aber das machte nichts. Die Kinder bekamen von Eltern, Großeltern und Freunden viel Applaus, weil der Wille mehr zählt als der sportliche Nährwert. Am Ende kamen alle Teilnehmer noch mal aufs Eis, und »Star Spangled Banner« tönte durch die Halle, und alle, auch die Töchter, legten völlig selbstverständlich die Hand aufs Herz, was mir etwas zu weit ging, aber in Amerika unvermeidlich ist. Die Hymne wird immer und überall gespielt, man kann ihr nicht entgehen. Sie wird im

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