Stars & Stripes und Streifenhörnchen
Wahrheit darf man im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verhältnismäßig wenig und wandert subito in den Knast, wenn man Verbote, Regeln und Gesetze ignoriert. 2,3 Millionen Menschen ignorieren regelmäßig Verbote und Gesetze und sitzen ergo in Verwahranstalten, mehr als in jedem anderen zivilisierten Land, inklusive China.
Den Kindern, auch unseren Töchtern, wird schon im Grundschulalter eingebläut, was erlaubt ist und was nicht. Drogen etwa machen: erstens natürlich tot und zweitens kriminell, wobei die Reihenfolge variiert. Solche Aufklärungsarbeit liegt in den Händen der örtlichen Polizei. Das Programm heißt »Drug Abuse Resistance Education« (DARE), und bei uns eilte zu diesem Zweck wöchentlich der fettleibige Officer Tom in die Lehranstalt, dozierte dort komischerweise nie über Fettleibigkeit und Fast Food, aber dafür ausdauernd über die fatalen Folgen des Rauchens. Was fatale Folgen insbesondere bei der jüngeren Tochter hatte, die im Alter von gerade zehn zu einer aufrechten Fundamentalistin wider den Qualm konvertierte. Sie versteckte fortan Zigarettenschachteln, schnitt fiese Zeitungsartikel über Krebs aus und Bilder von perforierten Lungen, die sie überall im Haus drapierte, und sprach Sätze wie: »Papa, bald bist du tot.« Gelegentlich schrieb sie Briefe folgenden Inhalts: »Wir wollen keine Waisen sein. Ihr tötet euch und uns. Ihr seid rücksichtslose Eltern …«
Zur Untermauerung imitierte sie hüstelnd-keuchende Geräusche, die sie für eine Nebenrolle in einer Zauberberg-Neuverfilmung prädestiniert hätten. Sie drohte auch mit sofortigem Kuss-Verbot.
Zum Abschluss von DARE mussten alle Kinder einen Aufsatz schreiben, und die Tochter schrieb einen Aufsatz darüber, wie sie zu Hause ihre rauchenden Eltern bekämpft, und gewann prompt den ersten Preis. Die Frau wohnte der Preisverleihung in der Schul-Aula bei, was für sie allerdings nur von limitiertem Unterhaltungswert war, weil die Tochter ihren Aufsatz laut vorlesen musste. Die Frau kam zwar ein Jota besser weg als der Mann, »mein Vater tötet uns alle systematisch durch Second-hand-smoke«, stand aber summa summarum doch als Rabenmutter da, »meine Mutter hindert meinen Vater nicht daran, uns alle systematisch durch Second-hand-Smoke zu töten«. Die Frau schwört, dass Officer Tom sie während der Festlichkeit permanent angestarrt habe und aus seinem Blick tiefe Abscheu sprach für die Rabenmutter und Mitleid für das arme Kind. Die tiefe Abscheu indes hinderte Officer Tom nicht daran, drei Stücke Käsekuchen zu verputzen, den die Frau eigens für die Zeremonie gebacken hatte. Am Ende sprachen alle Schüler die »Pledge of Allegiance«, einen heiligen Eid auf die US-Fahne, dass sie niemals rauchen, kiffen oder saufen würden, und die amerikanische Hymne lief vom Band.
Ich war froh, auf einer Dienstreise zu sein. Schon wegen meiner Hymnen-Phobie. Aber wir paffen zu Hause nur doch draußen vor der Tür.
Nun ist New York der ideale Ort, um dieses Laster loszuwerden. Vor allem, seit der Bürgermeister Michael Bloomberg im Jahre 2004 das Rauchverbot in Restaurants und Bars verfügte. In Bürogebäuden gilt schon lange striktes Rauchverbot, weshalb man in Intervallen von 90 Minuten den Fahrstuhl besteigt und hinunter auf die Straße fährt, wo die immergleichen Menschen denselben Intervallen folgen. Denn drinnen steht auf Rauchen mindestens die Todesstrafe. Als ich es einmal heimlich versuchte, am späten Abend, bekam doch irgendeiner Wind davon, und ein paar Tage später lag ein Brief von der Hausverwaltung auf dem Schreibtisch, mit detaillierten Drohungen ohne Bewährung. Also rauchen wir draußen. Wir sind ein kleiner, verschworener Haufen. Rauchen ist eines der letzten großen Abenteuer in dieser Stadt. Raucher sind in New York ungefähr so beliebt wie Osama Bin Laden oder George W. Bush. Man kann in New York problemlos nur mit Unterhose bekleidet den Broadway hinaufschlappen und den Weltuntergang prophezeien. Und kein Schwein dreht sich um. Aber wenn du rauchst auf der Straße, kommt garantiert jemand, gern Mütter mit Kleinkindern im Arm, und blökt: »Schämen Sie sich was!«
Und die Refugien schwinden. Zuletzt nahmen sie uns die Banane, die »Electric Banana« in Hell's Kitchen auf Manhattans Westside, eine großartige Kneipe, in der trotz New Yorker Rauchverbots munter gequalmt wurde. Als Aschenbecher dienten Bierflaschen, hinterm Tresen stand das Mannweib Lynne und schimpfte auf die städtischen Spaßverderber,
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