Stars & Stripes und Streifenhörnchen
irgendwas Kleines, Unauffälliges; Hamster, Wüstenrennmaus, so was in der Art. Das hellte die Laune kurzfristig auf, aber die Ältere sagte: »Das glauben wir erst, wenn wir's sehen.«
Die Frau kaufte Fotobücher und erzählte ihnen von den hohen Häusern in New York, dem Empire State Building, dem Chrysler Building, dem World Trade Center, »von dort aus kann man an klaren Tagen bis nach Delaware gucken«. Wir gaben uns alle erdenkliche Mühe, den Kindern Amerika schmackhaft zu machen. Wir versprachen ihnen, irgendwann Urlaub auf Hawaii zu machen. Wir ließen nichts unversucht, wir bestachen sie, »wolltet ihr nicht immer schon mal nach Disneyland?« Aber die Töchter blieben unnachgiebig. »Disneyland gibt's jetzt auch in Paris«, sagte die ältere Tochter, deren damals beste Freundin gerade aus Euro-Disney ins gelobte Hamburg zurückgekehrt war. »Und warum sollen wir von diesem hohen Haus nach Deladingsbums gucken?«, fragte die jüngere.
Das war ein nicht ganz unberechtigter Einwand, änderte aber nichts an der Tatsache, dass wir langsam unsere Flucht organisieren mussten. Der Mann begab sich aus diesem Grund nach Amerika, um eine Wohnung oder Häuschen zu suchen für die Sippe. Und machte dabei, kaum in New York gelandet, jenen Fehler, den viele machen, wenn sie nach Amerika umziehen. Oder vielleicht auch nicht viele. Jedenfalls schaltete der Mann drei Makler ein, nicht wissend, dass einer völlig gereicht hätte, weil alle Makler in den USA Zugriff auf alle leer stehenden Häuser und Wohnungen haben. Open Listing nennt sich das System. Und also ergab es sich, dass der Mann an einem Dienstag Maklerin Judy traf, die ihn durch die Gegend karriolte und ihm allerlei Behausungen zeigte. An einem Mittwochvormittag traf er Maklerin Mary-Francis, die ihm dieselben Behausungen zeigte. Am selben Nachmittag traf er Makler Frank, der ihm die Behausungen zeigte, die er am Tag zuvor und morgens schon gesehen hatte. Was bei einem holländischen Ehepaar einige Verwunderung auslöste, »warst du nicht gestern und heute Morgen schon hier?« Auf diese Weise flog der Mann auf, Leugnen so zwecklos wie Töchter von New York überzeugen. Makler Frank war wenig amused, ich selbst war auch wenig amused, beichtete alles, erzählte von Europa und wie anders Wohnungssuche dort sei und man nichts wüsste, »Ehrenwort«, von Open Listings. Frank blieb ebenso unbeeindruckt wie die Töchter des Hauses von New York. Er sagte: »Du musst dich jetzt entscheiden.« Die Szene erinnerte ein wenig an ein Duell im Spielfilm, ohne Pistolen zwar, aber aus Franks Gesicht war die Makler-Freundlichkeit vollends verschwunden.
Letzten Endes entschied ich mich für Judy, die erste Maklerin, was – wie sich sehr bald herausstellen sollte – der zweite große Fehler war. Man hätte das ahnen können. Hätte, können. Konjunktiv, Irrealis.
Real war Judy.
Sie war um die 60 und wog um die 100 Kilo, die sie in enge, pinkfarbene Kostüme zwängte, womit sie ihrer Figur etwas von einer böhmischen Presswurst verlieh.
Judy war sehr laut, und manchmal war Judy sogar ehrlich. Sofern Makler ehrlich sein können. Und so ging das los, sie sprach gleich zu Beginn einen fatalen Satz: »New York is very expensive.« Teuer, sehr teuer. Sie hätte auch sagen können: »Morgens geht die Sonne auf.«
Judy fuhr ihre Klienten in einer blauen, japanischen Limousine durch die Landschaft und smalltalkte, wie Makler smalltalken. »Ah, Germany, Europe? How wonderful, lovely.« Sie selbst war noch nie in Europa gewesen, aber ihr Lebensgefährte gerade erst. Zwei Wochen Tunesien, sagte sie, »wonderful, lovely.« Kommt aus Germany nicht diese traumhafte Schokolade mit den Kirschen drin? So erklärten sich nach und nach die 100 Kilo böhmische Presswurst. Zuweilen schob Judy ihre dritten Zähne zurecht, und das klapperte dann. Schlaglöcher sind nicht gut für dritte Zähne, die nicht richtig sitzen, und es gibt viele Schlaglöcher auf amerikanischen Straßen, aber das ist eine andere Geschichte. Doch das Klappern sollte immerhin ein Vorgeschmack sein auf das, was wir später bei amerikanischen Dentisten erleben sollten.
Wir fuhren durch dicht besiedelte und weniger dicht besiedelte Gegenden. New York City war definitiv unfinanzierbar, und deshalb verlegten wir unsere Suche nach Westchester County, eine halbe Stunde nördlich von Manhattan. Westchester County ist grün und, so dachte man, erschwinglich. Kleine Orte und Städtchen liegen in Westchester zwischen dem Hudson River
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