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Stars & Stripes und Streifenhörnchen

Titel: Stars & Stripes und Streifenhörnchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Streck
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zwei Tagen zogen die Bauarbeiter wieder ab, verschlossen das Loch mit Stahlplatten und Teer und setzten auf die Stahlplatten ein orange-weiß gestreiftes, phallusähnliches Dampf-Abzugsrohr. Sodann dampfte es in der 44. Straße vor »Jimmy's Corner« ein paar Wochen; es dampfte aus sämtlichen Ritzen und natürlich aus dem Phallus-Rohr, man hätte sich nicht weiter gewundert, wenn Stahlplatte und Phallus mit einem gewaltigen Knall Richtung Orbit abgehoben hätten.
    Zwei Wochen später erschien schließlich ein weiterer Trupp Bauarbeiter von der berüchtigten Elektrizitätsfirma Con Edison. Con Edison ist in New York City in etwa so behebt wie George W. Bush. Sie haben ebenso wie Bush den Ruf, tölpelhaft zu sein und inkompetent. Das Erscheinen der Con-Edison-Menschen löste bei der Stammkundschaft in »Jimmy's Corner« helle Begeisterung aus. Wir begaben uns in größerer Runde auf die Straße, und Saj, der Journalist, sprach hellsichtig: »Das wird jetzt besser als jede Komödie da hinten am Broadway.« Die Con-Edison-Leute trugen Helme. Sie entfernten erst die Stahlplatten und den dampfenden Phallus und hievten dann ein neues, blitzeblankes Rohr von ihrem blauen Lkw. Es war ein insgesamt guter Auftakt der Show, und wir applaudierten brav. Das Problem war nun: Das Rohr passte nicht ins Loch, zu lang. Die Con-Edison-Männer drehten das Rohr und wendeten es; sie versuchten es hochkant und von links und von rechts. Jeder Drittklässler hätte nach spätestens 30 Sekunden erkannt, dass Loch und Rohr keine Freunde werden würden. Der Con-Edison-Trupp brauchte dafür 20 Minuten. Wir tranken in der Zwischenzeit zwei Bier. Die Arbeiter umstanden ratlos den Krater, und wir umstanden höchst vergnügt und leicht angeheitert die Arbeiter, und irgendwann sagte Saj: »Zersägen, Jungs, es hilft nur zersägen.« Eine halbe Stunde darauf kam ein anderes blaues Auto von Con Edison vorgefahren, darin drei weitere Arbeiter und ein Schweißgerät. Eine weitere Stunde später war das Rohr zerteilt, passte endlich in den Krater, aber, dann – großer Schock -nicht auf das kaputte Rohr.
    Die Menschentraube um die ratlosen Fachkräfte wuchs gegen zehn, als die Broadway-Stücke zu Ende gingen und die Theaterbesucher eine Zugabe vor »Jimmy's Corner« bekamen. Einer im Tuxedo fragte am dampfenden Loch: »Ist das der Eingang zur Hölle?«, aber das fanden die Con-Edison-Menschen gar nicht komisch. Sie standen abermals ratlos am Kraterrand, und am Ende – Eureka! – bauten sie eine Art notdürftige Schelle um das kaputte Rohr, luden das neue, blitzeblanke und nunmehr aus zwei Teilen bestehende Rohr auf den blauen Wagen, verschlossen den Krater mit den Stahlplatten, setzten den orangefarbenen Phallus wieder oben drauf und fuhren nach Hause. Saj rief: »We are proud of you, guys«, es gab zögerlichen Applaus. Saj stammt aus Mumbay. Er sagt, dass ihn New York technologisch ungeheuer an seine alte Heimat erinnert, es fehlten lediglich die Kühe auf den Straßen. Statt der Kühe haben wir in New York eben Stahlplatten über Löchern, und überall dampft es aus den Löchern, und eines Tages werden die Straßen der Stadt nur noch aus dampfenden Stahlplatten bestehen, und irgendwann wird die Stadt einfach versinken in einem gigantischen Loch aus Dampf, und mit ihr und vorneweg die Leute von Con Edison, beliebt wie Bush.
    Denn es kann sommers Vorkommen, dass 175 000 Menschen im Stadtteil Queens bei 35 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit zehn Tage lang ohne Elektrizität leben müssen und langsam in ihren Wohnungen gedünstet werden. Und es kann winters passieren, dass Gully-Deckel in Manhattan unter Strom stehen und arme Passanten wenigstens einen Schlag kriegen oder schlimmstenfalls elektro-exekutiert werden.
    Es ist andererseits bewundernswert, mit welchem Langmut die New Yorker diese Imponderabilien tolerieren. Sie kennen es nicht anders.
    Vielleicht fehlt uns dieser Langmut. Speziell ich habe definitiv ein Langmut-Defizit, das im Laufe der Jahre und sehr zum Groll der Frau auch nicht besser wurde. Ich fiel durch die meisten Geduldsproben. »Du bist immer noch zu deutsch«, rüffelte die Frau. Oder, noch schlimmer: »Langsam müsstest du doch wissen, wie's hier ist.«
    Theoretisch ja. Praktisch nein.
    Draußen fror es, minus 12 Grad, und wenn es friert, platzen bei uns gern die Wasserrohre, Worauf man abermals die Rund-um-die-Uhr-Notfall-Klempner »Bruni & Campisi« verständigte, einer netten Dame erklärte, dass sie bitte nicht Gustavo

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