Stars & Stripes und Streifenhörnchen
»fuck them all«. Spätabends kamen nach Dienstschluss selbst die Polizisten, tranken Bier, rauchten! und drückten die Augen so lange zu, bis auch das nicht mehr ging. Lynne ignorierte alle Strafen. Nach der dritten Verwarnung kann dem Kneipenbesitzer die Lizenz für ein Jahr entzogen werden, und auch das interessierte Lynne von der »Electric Banana« kein bisschen. Sie nannte es »ziviler Ungehorsam«. Aber irgendwann, nach viel Rauch und wenig Reue, machten sie einfach den Laden zu. Das war ein trauriger Tag für die Raucher von New York City. Schließlich, Bier und Zigaretten sind zweieiige Zwillinge, wenn nicht gar siamesische.
Gelegentlich stehen wir nun vor »Jimmy's Corner«, unserem Boxer-Schuppen nicht weit vom Times Square, und trauern den alten Zeiten nach und Lynne natürlich, die einfach verschwand auf Nimmerwiedersehen. Wenn wir dort rauchen vor der Tür, kommt das Thema oft auf Europa und Deutschland. Saj, mein Journalistenfreund indischer Abstammung, fragt: »Wie haltet ihr es mit dem Rauchverbot?« Und ich antworte – das war lange vor dem teutonischen Qualm-Verdikt – einigermaßen stolz auf dieses kleine, störrische Land: »Nie!« Alles freizügiger dort, liberaler, unverklemmter. Entblößte Nippel stören dort keinen, ganz im Gegenteil, und die Leute rauchen überall. Dann nicken alle voller Anerkennung, vor allem aber wegen der Nippel. Entblößte Nippel sind in Amerika nämlich noch geächteter als Raucher.
Irgendwann werden sie auch das Rauchen auf der Straße reglementieren. Nun regeln Regeln überall in der zivilisierten Welt das zivilisierte Miteinander. Nur gibt es in Amerika offenkundig viel mehr zu regeln als anderswo. In New York schwärmen abends Sondereinheiten der Polizei aus, um in den Kneipen zu kontrollieren, ob das »Cabaret law« auch eingehalten wird. Das ist ein Gesetz noch aus Zeiten der Prohibition und besagt, dass man nur dort tanzen darf, wo die Wirte auch eine Lizenz zum Tanzen besitzen. Und falls sich, ohne Lizenz, zwei Menschen halbwegs synchron zur Musik aus der Juke-Box bewegen, ist das glatter Gesetzesbruch, und der Kneipier haftet für seine Tänzer.
Überhaupt kann körperliche Annäherung oder die bloße Erwähnung bestimmter Körperteile heillosen Ärger zur Folge haben. Susan Patrons preisgekröntes Kinderbuch »The Higher Power of Lucky« musste vor zwei Jahren aus Tausenden von Schulbüchereien verschwinden, weil in ihm das Gemächt eines Hundes am Rande erwähnt wird.
Solche Zensur empörte die ältere Tochter des Hauses zutiefst, »So what? Die Eier eines Hundes?«. Sie nahmen in der Schule gerade das amerikanische Rechtssystem durch, und darin vertiefte sie sich ausgiebig und beglückte uns beim Abendessen fortan mit schönen und zeitlosen Preziosen und Sottisen der US-Justiz.
»Wisst ihr, dass Mickey Mouse in Texas nicht für ein öffentliches Amt kandidieren darf?« Wussten wir nicht.
»Wisst ihr, dass man in Alaska kein Bier oder Schnaps an Elche verkaufen darf?« Wussten wir nicht.
»Wisst ihr, dass Frösche in Memphis für nächtliches Quaken verhaftet werden können?« Wussten wir nicht.
»Wisst ihr, dass es in Alabama unter Todesstrafe steht, wenn man Salz auf Bahngleise schüttet?« Wussten wir nicht.
Dies waren allesamt für unser weiteres Leben überaus nützliche Hinweise. Wir lernten dank der gesetzessicheren Tochter viel über Land und Leute. Sie kaufte sich Bücher zu diesem Thema und versorgte uns vorzugsweise auf langen Autofahrten mit unverzichtbaren Weisheiten. Wir lernten, dass Politiker in Preston, Idaho, keine Zwiebeln essen dürfen, wenn sie danach zu potentiellen Wählern reden. Wir lernten, dass sich Sekretärinnen in Pasadena nicht allein mit ihrem Boss in einem Raum aufhalten dürfen, und vermuteten, dass dies ein Gesetz aus der Nach-Clinton-Ära sein muss. Wir lernten, dass man in Omaha, Nebraska, nicht in der Kirche rülpsen darf. Wir lernten, dass in New York blinde Männer nicht Auto fahren dürfen, wissen aber bis heute nicht, ob das auch für blinde Frauen gilt. Wir lernten, dass man auf der Third Avenue in Manhattan nicht auf Kaninchen schießen, sehr wohl aber im Binnenstaat Tennessee aus dem fahrenden Auto Wale erlegen darf.
Die ältere Tochter hat darüber hinaus die famose Gabe, solche Verbote und Gesetze nie mehr zu vergessen. Einmal durchquerten wir auf einer sommerlichen Reise den schönen Bundesstaat New Mexico und besichtigten, warum auch immer, das Senatsgebäude in Santa Fe. Und prompt hatte sie
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