Stars & Stripes und Streifenhörnchen
den Tisch federte und den Mietvertrag aufsetzen wollte. Judy lächelte, und die Frau begriff. Dies war das Ende ihrer Freundschaft. Die Frau des Hauses wurde weiß. Es war ein anderes Weiß als vornehme englische Blässe. Ihr Weiß changierte ins Kalkweiße mit dezentem Stich ins Weiß-Grünliche, fast Grün-Weißliche.
Schweigen in der Limousine, eine Symphonie aus Eiswürfelklappern und dritten Zähnen.
Wir haben dann doch ein Haus gefunden. Ohne Judy. Es hat gedauert und ungefähr so viele Nerven gekostet wie Geld. Und ohne ordentliche Auslandszulage wäre das alles nicht möglich gewesen. Die Frau liebte es vom ersten Moment an. Unser Haus ist verdammt schief und alt und krumm, Menschen jenseits der zwei Meter werden dort nicht glücklich. Der Keller besteht aus einem Wald von maroden Stützpfeilern und einem ungeheuren Kabelsalat, und hinter dem Kabelsalat muss irgendwo die Heizung sein. Es läuft auch permanent ein Entfeuchter dort, und im ersten Sommer wuchs zur Begeisterung der Töchter eine Schlingpflanze durch den Holzfußboden im Wohnzimmer. Unsere Vermieterin Rosa hat mindestens einen wirren Blick und vermutlich einen Dachschaden. Wir können in unserem Haus Nägel mit dem Daumen in die Wände drücken, und eine Freundin nannte unser Haus »eine überaus charmante Bruchbude«. Das war eine passende Beschreibung. Bei Wind klappern die Fenster in unserem alten Haus. Und doch ist das ein angenehmes Klappern, ein gemütliches Klappern.
Wir haben von Judy nie mehr gehört.
Italien im Bauch
Der Umzug und der 11. September
Die Töchter waren von New York immer noch nicht überzeugt. Womöglich deshalb, weil unsere Mitbringsel zu Rohrkrepierern gerieten. Die beiden schwarzen T-Shirts mit Totenköpfen vorne drauf, die wir zu vorgerückter Stunde, morgens gegen drei, in einer großartigen Kaschemme namens »Rudy's Bar and Grill« in Manhattan zum Vorzugspreis von neun Dollar erstanden hatten, sorgten für Stirnrunzeln und entlockten der älteren ein nicht ganz falsches »Papa, warst du da blau?« Als definitiv kontraproduktiv erwies sich auch der Erwerb größerer Mengen Hershey's-Schokolade. »Ekelhaft«, sagte die ältere nach dem ersten Biss, »igitt«, sagte die jüngere. Wir klärten die Kinder auf, dass Hershey's Schokolade weltberühmt sei in Amerika und dass schon US-Soldaten deutschen Kindern nach dem Zweiten Weltkrieg Hershey's geschenkt hätten. »Wahrscheinlich«, sagte die ältere Tochter, »gab's damals noch keine Milka.«
Die Hershey's-Abneigung legten die Töchter in fast sieben Jahren Amerika nicht ab. Die Amerika-Abneigung immerhin legte sich alsbald, nachdem sie Bilder von unserem Potemkinschen Haus gesehen hatten. Es erinnerte sie entfernt an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt, und alles war gut. Die Frau hörte in den darauffolgenden Wochen ununterbrochen Sinatra, während sie Gläser einpackte und Teller und viele Bücher, wunderbar geordnet von A bis Z.
Zwei Wochen später kamen die Möbelpacker. Sie hießen Maik, Wolle und Jimmy, echte Jungs aus dem Leben, Brandenburg. Sie sagten lustige Sachen wie: »Wir haben auch schon mal Ihren Chefredakteur umgezogen. Sie sind doch bei ›Bild‹, oder?« Möbelpacker sind sehr kräftige Menschen, und sehr kräftige Menschen haben sehr kräftigen Hunger. Weshalb, ehe noch ein Karton gepackt und geschleppt war, die Frau erst mal den Mann wegorganisierte, weil der sowieso nur dumm rum und im Weg stand: »Du holst jetzt Brötchen.«
Wir waren dann einigermaßen erstaunt, was so ein Möbelpacker verputzen kann. Weil 15 Brötchen unsere Familie gut zwei Tage ernähren würden. Aber Möbelpacker haben dickere Arme und größere Mägen: Zum Frühstück, 7.30 Uhr, drei Brötchen pro Nase und zwar keine halben; zum Mittagessen, zwölf Uhr, eineinhalb Pizzen und zwar keine halben; zum Kaffeetrinken, 15 Uhr, zwei Stücke Kuchen und zwei Flaschen Bier. Maik, Wolle und Jimmy erzählten beiläufig, wie mies sie einmal nahrungstechnisch behandelt worden waren von der Gattin eines Vorstandsvorsitzenden, »abgestandene Linsensuppe morgens, mittags, abends«. Und dass ihnen – rein zufällig und großes, großes Unglück natürlich – das Klavier des Vorstandsvorsitzenden aus den Händen geglitten sei. Man sollte es sich beim Essen mit Möbelpackern nie verderben. Nie. Sie sind nicht nur kräftig, sondern auch mächtig.
Umzüge sind nun immer auch Katharsis, denn bei einem Umzug merkt der Mensch, welche Mengen Schrott schon quer durchs Land von Köln nach
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