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STASIRATTE

STASIRATTE

Titel: STASIRATTE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Döhring
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Richter sitzt etwas erhöht, neben ihm dieProtokollführerin. Ihnen gegenüber sitzen wir in einer Reihe. Ich bin nun wieder nervöser. In einer halben Stunde habe ich das alles hinter mir, mache ich mir Mut. Mike sitzt konzentriert neben mir, lächelt mich aber kurz aufmunternd an. Gerrys Anwalt hat sich inzwischen eine Robe über seinen Freizeitlook gestülpt. Das war wohl der Grund für das Verschwinden um die Ecke.
    Der Richter blättert als Auftakt ein wenig in den Papieren, die er abwägend mustert. Ich schätze ihn auf Ende dreißig. Er sieht freundlich und sehr seriös aus. Dann beginnt er: „Also es geht hier um diese Karten.“ Er hält eines der Blätter, auf das wir die Grußkarten kopiert haben, in die Höhe. „Der Beklagte hat nach Einsicht in die Unterlagen bei der BStU erfahren, dass er von einer ehemaligen Kollegin und, ach ja, beide waren auch noch befreundet, also, dass er bespitzelt worden ist.“ Er macht eine Pause und sieht sich irgendetwas in den Unterlagen an. „Ich kann mir vorstellen, dass das für Sie (er sieht jetzt Gerry an) ein Schock war. Das Ganze ist jetzt allerdings schon über zwanzig Jahre her.“ Er macht eine kurze Pause des Nachdenkens, dann wendet er sich mir zu: „Auch Ihre Position kann ich verstehen. Sie sind aus wer weiß welchen Gründen IM bei der Stasi geworden, Sie waren damals noch sehr jung und ... ja, ich kann heute nicht sagen, wie ich mich in solch einem System verhalten hätte.“ Ich nicke ihm zu und freue mich über die differenzierte Ausführung. Erneut schaut er kurz in die Akten und dann zu mir: „Dann haben Sie einen Brief zur Entschuldigung geschrieben.“ Das klingt jetzt nicht so positiv. Ich schaue ihn aufmerksam an. „Das hat Ihnen aber nicht genügt.“ Er bewegt den Kopf abwägend hin und her und blickt zu Gerry hinüber. Nein, das hatte ihm eindeutig nicht genügt, denke ich. „Nun gibt es tatsächlich dieses Gewaltschutzgesetz“, führt der Richter weiter aus, sagt aber nichts zu dessen Wirkung in unserem Fall. Stattdessen fragt er Gerry und seinen Anwalt: „Ja, und Sie wollen sich jetzt verteidigen?“
    „Es wird keine weiteren Karten geben“, lautet überraschend die Ansage der Gegenseite. „Aha, das geht dann aber nicht so ...“, der Richter hat Einwände, die ich nicht verstehe. Ich sehe Mike an, der sich auf das Verfahren konzentriert.
    Gerrys Anwalt hingegen scheint zu verstehen, was der Richter meint, und fährt fort: „Vor dem Hintergrund der eventuellen gesundheitlichen Probleme der Klägerin sieht mein Mandant in Zukunft davon ab, weitere Karten zu versenden.“ Ach, auf einmal. Ich bin überrascht. Mike nicht. Er sieht aus, als hätte er nichts anderes erwartet, und beugt sich zu Gerrys Anwalt herüber. Überrascht höre ich ihn fragen: „Wie hoch sind denn eure Kosten?“ Was bedeutet das nun wieder? Ich sehe vom Richter zu Mike und von ihm zu Gerrys Anwalt. Die scheinen sich zu verstehen.
    Der Richter ergreift nun wieder das Wort. „Dann hätten Sie sich nicht zu verteidigen brauchen.“ Gerrys Anwalt sagt nichts und ich versuche wieder, Gerrys Blick zu erhaschen. Was hier jetzt läuft, ist mir nicht ganz klar, aber wozu habe ich einen Anwalt dabei? Dass es nicht ungünstig läuft, bekomme ich schon mit, also konzentriere ich mich jetzt darauf, Blickkontakt mit meinem Gegner aufzunehmen. Irgendwann muss er doch mal zu mir herübersehen. Aber er sieht nur auf den Tisch oder zu seinem Verteidiger, nicht zu mir. Kein einziges Mal.
    „Wir teilen die Kosten“, höre ich Mikes Stimme. Ich folge der Verhandlung wieder halb und verstehe, dass es ein Vergleich ist, der hier ausgehandelt wird. „Also gut“, sagt der Richter, „dann wird festgelegt ...“ Hier wendet er sich der Justizbeamtin neben ihm zu und diktiert ihr seinen Beschluss.
    Nach einer halben Stunde ist es vorbei. Der Richter erklärt die Verhandlung für beendet und wir stehen alle auf.
    Was für ein Gefühl. Das Kartendrama ist vorbei, endlich. Ich werde jetzt zu Gerry gehen und noch etwas sagen. Was genau? Es würde mir schon einfallen. Vielleicht ein schlichtes: „Es tut mir leid.“ Oder: „Mensch, Gerry, können wir nicht einfach – so wie früher – mal reden?“ Oder noch anders.
    Ich drehe mich zur Tür und sehe, dass er bereits gegangen ist, so schnell, wie er vor einer halben Stunde hineingehuscht ist. Ich gehe aus dem Saal, doch der Flur ist leer. Dann folgen mir auch der Richter, Mike und die Beamtin, die noch die Tür abschließt. Einen

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