Staub Im Paradies
erstaunt. Habe ich in ihr gar so etwas wie eine Geistesverwandte gefunden? Ich zögere, eigentlich wäre es mir lieber, sie würde wie die anderen in die sichere Schweiz entschwinden. Andererseits kann ich natürlich jegliche Art von Unterstützung gut gebrauchen.
»Ich bleibe auch hier«, kläre ich sie auf.
Adrienne strahlt mich an wie ein Maikäfer. Dann will sie wissen, ob ich Per schon informiert habe.
»Nö. Erst Leonie. Und du?«
»Auch nicht. Aber zu zweit schaffen wir es sicher«, meint sie und zieht mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck ab.
Ich packe in der Folge ein wenig um: Natel, Pass, Anti-Brumm- Spray, zwei Garnituren Kleidung und andere lebensnotwendige Kleinigkeiten in die neue Ledertasche. Dreckige Wäsche, Reiseführer und weiteren überflüssigen Klimbim in den alten Reisekoffer, der mit Leonies Hilfe ohne mich nach Hause finden muss.
Gret stochert im Nebel herum
Gret hatte fünf Stunden geschlafen und kauerte um halb neun Uhr morgens bereits wieder am Hüttnersee. Gestern Nacht hatten sie um kurz vor zwei aufgegeben, noch weiter Leute zu befragen – es hatte ihnen schlicht niemand mehr die Tür geöffnet. Stattdessen waren ihr und Mario aus einem verwilderten Garten riesige kläffende Hunde entgegengestürmt, die sich nur mit Pfefferspray hatten abwehren lassen. Das anschließende Geheule war jämmerlich gewesen, die Tiere hatten ihr sehr leidgetan.
Sie richtete sich auf und ließ ihren Blick in die Umgebung schweifen. See und Moor lagen unter dichtem Nebel, die Konturen der nahe gelegenen Bauernhöfe waren kaum zu erkennen und auch die umherstreifenden Kollegen sah sie momentan nicht mehr. Sie rieb ihre Handschuhe gegeneinander und versuchte nochmals, die Ereignisse der letzten Zeit in einen logischen Zusammenhang zu bringen.
Klar schien, dass Rexon in die Schweiz geschickt worden war, um die Muse eines reichen, in Sri Lanka lebenden Deutschen freizukaufen, die mit einem in der Schweiz lebenden Tamilen zwangsverheiratet werden sollte. Rexon hatte sich mehrere Tage in Zürich aufgehalten und Kontakt zu der Familie Uruthiramoorthy aufgenommen, von der Müller sich gestört fühlte. Zumindest einmal, nämlich in der Seerose, hatte Rexon den Familienvater getroffen und bei der Filmvorführung am letzten Nachmittag vor seinem Tod dann auch den Rest der Familie. Am Abend desselben Tages war er mit seinen Dollars zum Zürcher Hauptbahnhof marschiert. Von da an konnte nur noch spekuliert werden.
Grets Meinung nach war Rexon, kurz nachdem ihn die Überwachungskamera im Hauptbahnhof das letzte Mal lebend gesichtet hatte, von seinem Mörder abgefangen, an den Hüttnersee gefahren und dann von hinten heimtückisch erstochen worden. Der unbekannte Täter hatte die Leiche anschließend zurück nach Zürich verfrachtet und sie hinter dem Riff Raff deponiert. Ohne Zweifel, um den Verdacht von sich abzulenken.
Die Frage war nur, wer dieser Unbekannte war.
Rexon musste ihn gekannt haben. Gut gekannt. Dass er in seinen wenigen Tagen in der Schweiz jemandem so nahegekommen war, erschien ihr aber unwahrscheinlich. Was im Endeffekt bedeutete, dass er seinen Mörder bereits von Sri Lanka her kennen musste.
Vielleicht sollte sie tatsächlich so schnell wie möglich nach Colombo fliegen. Staub war nahe an der Lösung, daran bestand für sie kein Zweifel. Und gemeinsam konnten sie es schaffen. Michael hatte sie gestern bereits scheu gefragt, was sie davon hielte, ihrem Exchef zu Hilfe zu eilen. Aber er hatte auch gleich hinzugefügt, er könne sie natürlich nicht offiziell ins Ausland schicken. Es sei allenfalls vorstellbar, dass sie zufälligerweise kurzfristig nach Sri Lanka in die Ferien fahre.
Gret seufzte. Zu jedem anderen Zeitpunkt in den vergangenen Monaten wäre sie wohl bereits im Flieger gesessen. Seit dem vergangenen Freitag sah das jedoch etwas anders aus. Der Abend mit Felix war wunderbar gewesen, entspannt und vergnüglich. Auch kribbelnd – es hatte wenig gefehlt, dass er im Bett geendet hätte. Aber das konnte ja noch werden. Bereits heute Abend wollten sie sich wiedersehen, Felix hatte Freikarten für ein Jazzkonzert im Kaufleuten. Wollte sie ihm dann wirklich mitteilen, dass sie für eine Weile außer Landes musste? Wenn sie sich nicht komplett irrte, würde Felix sehr enttäuscht sein. Und sie selbst auch.
Andererseits musste Rexons Tod einfach aufgeklärt werden. Dass jemand Leute erstach, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, war schlicht nicht hinzunehmen.
Gret blickte
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