Staub Im Paradies
hinaus. Teeplantagen auch hier. Man sieht, wie sich leuchtend farbige Punkte darin bewegen – die Pflückerinnen in ihren Saris. Dann ein paar Hütten und eine unendliche Kautschukplantage. Kurz darauf rattert der Zug im Schritttempo über eine Holzbrücke und taucht in einen grünen Wald ein. Ich nehme es kaum mehr wahr. Die Gähnerei ist keineswegs vorgespielt, denn ich verfalle schon bald in eine Art Halbschlaf. Zum ersten Mal seit dem Besuch bei Müller komme ich ein wenig zur Ruhe.
Der Mann ist ein Phänomen und hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Vor allem gegen Schluss unserer Bekanntschaft, denn da wirkte er plötzlich richtiggehend besorgt. Um mich? Um sich selbst?
Schlagartig steht die Erkenntnis vor mir wie eine Nordwand in den Alpen. Müller hat viel mehr gesagt, als er hätte müssen. Kein Mensch hätte auch nur im Ansatz für möglich gehalten, dass diese Vidya seine Haushaltskraft oder Geliebte oder was auch immer ist. Auch auf den Gedanken, dass der in Zürich erstochene Rexon Nadesapilay für ihn gearbeitet hat, wären wir von selbst nie gekommen. Und dass er Gewehre, ja sogar ein G22, besitzt, hätte er auch nicht zugeben müssen.
Müller hat ungeheuer viel geredet. Wollte er sich erklären? Mir helfen zu begreifen, was geschehen ist?
Auf einen Schlag bin ich wieder hellwach. Zum Teufel, so könnte es wirklich gewesen sein! Was genau hat er mir noch erzählt? Ich konzentriere mich und kehre im Geiste zurück zu dem Moment, als er uns begrüßt hat. Gehe mit ihm die Treppe hinauf in den Salon und weiter zu seiner Waffenkammer. Versuche mich an jedes Wort zu erinnern, das er von sich gegeben hat.
Und plötzlich weiß ich, was er mir sagen wollte. Und auch, um wen er sich so sorgte.
Mario steigt aus
Sie befanden sich auf dem Weg zurück nach Zürich und Mario hatte Mühe, das Tempo zu zügeln. Er hätte locker auch mit mehr als den erlaubten hundertzwanzig Stundenkilometern über die A3 brausen können. Aber selbst das war einem Polizisten nicht vergönnt. Im Gegensatz etwa zu chronischem Schlafentzug, stundenlanger Warterei in der Kälte und der Dauerbelästigung unschuldiger Bürger, die vielleicht zufällig Zeugen von irgendetwas waren.
Die Hüttener hatten natürlich gar nichts beobachtet. Am brauchbarsten war noch die Aussage eines alten Bauern, der an dem fraglichen Abend auf dem Heimweg von der Dorfschenke einen Combi mit mehreren Insassen gesehen haben wollte, der in Richtung See abgebogen war. Allerdings konnte der Mann aufgrund der vielen Kafi Lutz, die er getrunken hatte, keine konkreten Aussagen machen: weder was die Farbe des Autos noch dessen Fahrtrichtung betraf, von Modell oder gar Autonummer ganz zu schweigen.
»Woran denkst du«, fragte Mario seine Bürokollegin.
Gret, tief in Gedanken versunken, schrak auf.
»Ach, an allerhand. Und du?«
»Ich überlege mir zu kündigen«, sprach er endlich aus, was während der vergangenen Tage in seinem Kopf gereift war.
Gret wandte ihm überrascht den Kopf zu und betrachtete ihn besorgt.
»Und was willst du stattdessen machen?«
»Mein Bruder meint, ich könne vielleicht irgendwie quer einsteigen bei der Coop Bank. Er leitet dort eine große Filiale und will sich für mich einsetzen. Ich bin ja erst vierunddreißig, irgendwas anderes als diesen Scheiß werde ich schon noch finden.«
Er bedauerte die Härte seiner Worte sofort. Gret würde schließlich sicher noch Jahre bei der Polizei arbeiten und er mochte sie – ungeachtet ihrer Nähe zu den Chefs – wirklich sehr gerne, würde sie wahrscheinlich sogar ein Stück weit vermissen.
Sie schaute zugegebenermaßen nicht gerade glücklich aus.
»Du hast vollkommen recht«, stimmte sie ihm erstaunlicherweise jedoch zu. »In unserem Alter soll man sich ruhig noch mal überlegen, ob man tatsächlich im richtigen Bereich tätig ist. Immerhin dauert es im Normalfall immer noch über dreißig Jahre bis zur Pension.«
»Du sagst es«, nickte er und hoffte, sie würde das Thema auf sich beruhen lassen. Er hätte besser gar nicht erst damit angefangen.
»Mir macht der Job halt wirklich Spaß«, erläuterte Gret jedoch. »Gut, Spaß ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber die Arbeit ist interessant, abwechslungsreich, herausfordernd. Und irgendwie bilde ich mir ein, dass ich auf diese Art mithelfen kann, die Welt ein wenig besser zu machen. Darüber kann man lachen, klar. Aber ich habe als Kind wirklich was Schreckliches erleben müssen und …«
Sie zögerte einen
Weitere Kostenlose Bücher