Staub
schüttelt den Kopf und zuckt die Achseln, als wolle er »Ich geb’s auf« sagen. Allerdings geht es bei dem Gespräch längst nicht mehr um den Ferrari. Wenn Lucy ihre Lebensweise änderte, würde sie ihn gewinnen lassen. Sie glaubt, dass die Bestie ein Mann ist. Henri ist zumindest überzeugt davon, und Lucy teilt ihre Ansicht. Zum Teufel mit der Wissenschaft, zum Teufel mit Beweisen, zum Teufel mit dem ganzen Rest. Sie weiß genau, dass die Bestie ein Mann ist.
Entweder ist er eine übertrieben selbstbewusste oder eine dumme Bestie, weil er zwei bruchstückhafte Fingerabdrücke auf der Glasplatte des Nachttischs hinterlassen hat. Das war leichtsinnig von ihm. Bis jetzt gab es aber keine Übereinstimmung zwischen diesen Fingerspuren und den Abdrücken im Integrierten Automatisierten Fingerabdruck-Identifikations-System IA-FIS. Das kann heißen, dass seine Abdrücke nicht in einer Datenbank registriert wurden, weil er möglicherweise nie verhaftet wurde. Vielleicht war es ihm auch gleichgültig, dass er drei Haare, drei schwarze Kopfhaare, auf dem Bett zurückgelassen hat. Warum sollte ihn das auch interessieren? Selbst bei einem wichtigen Fall wie diesem dauert die Analyse der Mitochondrien-DNS dreißig bis neunzig Tage. Dabei gibt es keine Garantie für verwertbare Ergebnisse, denn eine zentralisierte Datenbank für Mitochondrien-DNS, die einen weiterbringen würde, existiert nicht, und anders als bei der Nukleus-DNS, die man aus Blut und Gewebe gewinnt, gibt die Mitochondrien-DNS aus Haaren und Knochen keinen Aufschluss über das Geschlecht des Täters. Also spielen die von der Bestie hinterlassenen Spuren keine Rolle. Möglicherweise kommen sie ja nie zum Tragen, außer man findet einen Verdächtigen und kann direkte Vergleiche anstellen.
»Zugegeben, ich bin durcheinander und nicht ich selbst. Es hat mich ein bisschen aus der Bahn geworfen«, sagt Lucy und konzentriert sich voll aufs Fahren. Sie macht sich Sorgen, dass sie sich wirklich nicht mehr im Griff und dass Rudy Recht haben könnte. »So wie gerade eben hätte ich mich nie verhalten dürfen. Niemals. Für so einen Mist bin ich eigentlich viel zu professionell.«
»Du schon. Sie nicht.« Rudy hat den Kiefer störrisch vorgeschoben. Seine Augen sind hinter der verspiegelten Sonnenbrille verschwunden. Er will nicht, dass Lucy ihm in die Augen schauen kann, und das gefällt ihr gar nicht.
»Ich dachte, wir reden über den Latino von eben«, erwidert sie.
»Du weißt, was ich dir von Anfang an gepredigt habe«, fährt Rudy fort. »Über die Gefahr, die es bedeutet, jemanden bei dir wohnen zu lassen. Jemanden, der dein Auto und deine Sachen benutzt. Jemanden, der solo in deinem Luftraum fliegt. Jemanden, der deine und meine Regeln nicht kennt und, zum Teufel nochmal, nicht unsere Ausbildung hat. Und der auch nicht an denselben Dingen hängt wie wir. An unserem Leben zum Beispiel.«
»Es darf doch nicht immer alles von der Ausbildung abhängen«, entgegnet Lucy. Es ist einfacher, über das Thema Ausbildung zu sprechen, als darüber, ob man dem Menschen, den man liebt, wirklich etwas bedeutet. Ein Gespräch über den Latino ist unkomplizierter als eines über Henri. »Ich hätte mich vorhin niemals so verhalten dürfen, und ich entschuldige mich dafür.«
»Vielleicht hast du vergessen, wie es im Leben wirklich zugeht«, gibt Rudy zurück.
»Bitte, nein, verschon mich mit deinen Weisheiten«, zischt sie, tritt aufs Gas und fährt nach Norden in Richtung Hillsboro, wo ihre lachsfarben verputzte Villa im mediterranen Stil steht. »Ich glaube nicht, dass du die Situation objektiv beurteilen kannst. Du schaffst es ja nicht mal, ihren Namen auszusprechen, und redest immer nur von ›jemand‹.«
»Objektiv! Dass ich nicht lache! Das sagst ausgerechnet du.« Sein Tonfall klingt fast schon böse und schneidend. »Die blöde Kuh hat alles kaputtgemacht. Und dazu hattest du nicht das Recht. Du hattest nicht das Recht, mich zum Mitspielen zu zwingen.«
»Rudy, wir müssen aufhören, uns zu streiten«, versucht Lucy ihn zu beruhigen. »Warum gehen wir so miteinander um?« Sie blickt ihn an. »Es ist nicht alles kaputt.«
Er antwortet nicht.
»Warum brüllen wir uns an? Ich finde es zum Kotzen«, versucht sie es weiter.
Früher haben sie sich nie gestritten. Er hat zwar ab und zu geschmollt, sie aber nie offen kritisiert, bis sie das Büro in Los Angeles eröffnet und Henri vom LAPD abgeworben hat. Ein dumpfer Sirenenton kündigt an, dass die Zugbrücke
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