Staunen über den Erlöser
Göttlichkeit unnahbar werden will, seine Heiligkeit unberührbar und seine Vollkommenheit unerreichbar, klingelt das Telefon und eine Stimme flüstert: »Er war auch ein Mensch, vergiss das nicht! Er hatte Fleisch und Blut wie wir.«
Genau im richtigen Augenblick werden wir daran erinnert, dass der, zu dem wir beten, unsere Gefühle kennt. Er weiß, was Versuchung ist. Er weiß, wie es ist, entmutigt zu sein oder hungrig oder müde und erschöpft. Er weiß, wie wir uns fühlen, wenn der Wecker rasselt. Oder wenn unsere Kinder alle gleichzeitig quengeln. Er nickt verständnisvoll, wenn wir beim Beten wütend sind. Er versteht uns, wenn wir nicht mehr wissen, wie wir unser Pensum schaffen sollen. Er lächelt, wenn wir ihm unsere Müdigkeit bekennen.
Aber am allerdankbarsten sollten wir für den Satz in Johannes 19,28 sein, wo es heißt: »Ich habe Durst.«
Es ist nicht der Christus, der hier durstig ist. Es ist der Zimmermann. Dies sind Worte der Menschlichkeit inmitten der Göttlichkeit.
Dieser Satz kann das schönste Predigtkonzept durcheinanderbringen. Die anderen sechs der sieben Worte Jesu am Kreuz »passen« irgendwie besser. Sie sind Worte, wie wir sie von dem Gekreuzigten erwarten: Vergebung für Sünder, Verheißung des Paradieses, Fürsorge für die Mutter. Selbst in dem Aufschrei »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!« liegt noch eine Kraft.
Aber »Ich habe Durst«?
Just in dem Augenblick, wo wir alles schön systematisch beieinander haben. Wo wir das Kreuz beschrieben und begriffen haben. Wo das Manuskript abgeschlossen ist. Wo wir all jene schönen, sauberen, abstrakten »-ung«-Wörter erfunden haben, wie »Heiligung«, »Rechtfertigung«, »Versöhnung«, »Reinigung«. Just in dem Moment, wo wir als krönenden Abschluss das große Goldkreuz auf unseren schönen hohen Kirchturm setzen wollen, erinnert Jesus uns daran, dass »das Wort Fleisch wurde«.
Er will, dass wir nicht vergessen, dass auch er ein Mensch war. Er will, dass wir begreifen, dass auch er das Einerlei und die Müdigkeit eines langen Tages kannte. Er will, dass wir sehen, dass unser Bahnbrecher keine kugelsichere Weste trug, keine Gummihandschuhe, keine Ritterrüstung. Unser Erlöser Jesus stand mitten in der Welt, der Sie und ich jeden Tag gegenüberstehen.
Er ist der König aller Könige, der Herr aller Herren und das Wort des Lebens. Er ist, heute mehr noch denn je, der Morgenstern, das Horn des Heils und der Friedefürst.
Aber es gibt Stunden, da bekommen wir neue Kraft, indem wir uns daran erinnern lassen, dass Gott Fleisch wurde und unter uns wohnte. Unser Herr wusste, was es heißt, ein gekreuzigter Zimmermann zu sein, der Durst hat.
Kapitel 8
Die Liebe des Schöpfers
»Es ist vollbracht!« (Johannes 19,30)
»Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.« So steht es in der Bibel. Gott »schuf« den Himmel und die Erde. Es heißt nicht, dass er sie »machte« oder »kopierte« oder »baute« oder »entwickelte« oder »am Fließband produzierte«. Nein, er schuf sie.
Und dieses eine Wort sagt eine Menge aus. Schaffen ist etwas ganz anderes als bloß Bauen. Der Unterschied ist klar: Wer etwas baut, arbeitet nur mit den Händen; wer etwas schafft, gebraucht auch das Herz und die Seele.
Wahrscheinlich kennen Sie das aus Ihrem eigenen Leben. Auch Sie haben schon etwas »geschaffen«. Vielleicht ein Gemälde. Oder ein Lied. Oder jenes Gedicht, das Sie niemandem zeigen. Oder vielleicht sogar die Hundehütte im Garten.
Was für Gefühle haben Sie gegenüber Ihrem Werk? Gute? Hoffentlich. Sind Sie stolz auf Ihr Werk, wollen es vielleicht sogar vor unbefugten Händen schützen? Das ist ganz in Ordnung. In diesem Projekt lebt ein Stück von Ihnen. Wenn wir etwas schaffen, ist das etwas viel Größeres als eine normale Aufgabe oder Arbeit; wir legen etwas von unserem Ich, von unserem Herzen hinein.
Und jetzt stellen Sie sich Gott als Schöpfer vor. Es gibt vieles, was wir über die Schöpfung nicht wissen, aber eines wissen wir: Gott muss dabei gelächelt haben, es muss ihm einen Riesenspaß gemacht haben. Die Streifen am Zebra, die Sterne am Himmel, das Gold des Sonnenuntergangs. Was für ein Einfallsreichtum! Wie er den Hals der Giraffe verlängert hat, wie er die Drossel flattern lässt, wie die Hyäne kichern kann …
Ja, sie machte Gott Spaß, seine Schöpfung. Es ging ihm wie dem fröhlich pfeifenden Tischler oder Schnitzer in seiner Werkstatt. Er legte sein ganzes Herz in diese Arbeit. Er ging so in
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