Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
schluchzte leise. Mit Entsetzen sah Steel, dass sie Prellungen im Gesicht hatte. Kretzmer hockte schief auf einem Stuhl in einer anderen Ecke des Zimmers. Man hatte ihn an Händen und Füßen gefesselt. Ein zugeschwollenes Auge und eine Platzwunde an der Wange verrieten Steel, dass die Soldaten nicht gerade zimperlich mit dem Kaufmann umgegangen waren, als sie ihn gefasst hatten.
Steel wandte sich an Taylor. »Matt, seht nach, ob Ihr etwas für sie tun könnt. Aber geht behutsam mit ihr um.«
Steel hasste sich für seine Nachlässigkeit. Wieso hatte er die junge Frau während der Nacht unbewacht zurückgelassen? Es wimmelte nur so von Männern. Die Grenadiere machten ihm keine Sorgen, aber warum hatte er nicht an all die anderen gedacht? An Jennings’ Männer, die Fuhrleute oder den Koch. Wieso nicht an Kretzmer?
»Verflucht, Jacob. Ich bin ein Narr. Wir hätten ihr eine Wache zuteilen müssen. Eine verlassene Stadt und eine Kompanie Rotröcke. Was bin ich doch für ein Trottel! Das ist alles meine Schuld.«
»Wenn Ihr es so seht, Sir, dann seid Ihr wahrhaftig ein Narr. Aber Tatsache ist, dass niemand eine Schuld trifft, außer Kretzmer. Sie wird sich schon wieder fangen. Matt kümmert sich um sie.«
Steel beobachtete, wie der Corporal sich zu Louisa hinunterbeugte und sie ansprach. Er flüsterte, als spräche er zu einem scheuen oder verwundeten Tier. Nach und nach schien der Schrecken von Louisa abzufallen, und sie beruhigte sich ein wenig. Steel trat beiseite, als Taylor die junge Frau aus dem Zimmer führte und mit ihr die Stufen ins obere Stockwerk hinaufstieg.
»Alles in Ordnung, Sir«, sagte Taylor, als er sich auf der untersten Stufe noch einmal zu Steel umdrehte. »Ihr könnt sie mir anvertrauen. Versucht noch ein bisschen zu schlafen.«
Als Steel sich noch einmal in dem Zimmer umschaute, fiel sein Blick erneut auf den beleibten Bayern. Ekel und Abscheu stiegen in ihm hoch, unbändiger Zorn wallte in ihm auf. Unter anderen Umständen hätte er diesen Bastard auf der Stelle getötet und die Konsequenzen getragen. Aber er wusste, dass er sich an die Regeln halten musste, zumal er als Offizier eine Vorbildfunktion hatte. Und schließlich gab es da noch Jennings, der nur darauf wartete, dass Steel einen Fehler machte. Dann nämlich hätte er etwas gegen Steel in der Hand und könnte ihn ein für alle Mal erledigen. Und die Vorschriften lauteten, Kretzmer unter strengster Bewachung zum Heerlager zu bringen, wo man ein faires Verfahren gegen ihn eröffnen würde. Erst dann – sofern es noch Gerechtigkeit in dieser Welt gab – wären sie berechtigt, ihn zu hängen. Bis dahin würde noch viel Zeit vergehen.
***
Am nächsten Morgen verhieß der blaue, wolkenlose Himmel einen weiteren heißen Tag. Schon beim Aufstehen lasteten die schlimmen Ereignisse der Nacht schwer auf Steel. Langsam stieg er die Stufen zu Louisas Kammer hinauf und klopfte an. Als die Tür sich öffnete, spähte Taylor hinaus auf die Treppe.
»Wie geht es ihr?«, fragte Steel.
»Nicht gerade gut, wie Ihr Euch vorstellen könnt. Er hat sie sehr grob behandelt.«
»Soll ich mit ihr sprechen?«
»Warum nicht, Sir. Ich kann zwar kein Deutsch, aber in der Nacht murmelte sie ein paarmal Euren Namen, Sir, im Fieberwahn.«
»Danke Euch, Taylor.«
Steel trat ein und ging zum Bett, in dem Louisa in einem Nachthemd aus Leinen unter einer Decke lag; ihr goldblondes Haar ergoss sich wie ein Fächer auf dem weißen Kissen. Taylor hatte ihr beim Waschen geholfen, doch die Prellung an der Wange hatte inzwischen eine dunkle Färbung angenommen. Steel sah, dass sie andere Druckmale am Hals hatte. In diesem Moment schlug sie die Augen auf, erschrak aber sogleich, als sie noch einen Mann in ihrem Zimmer sah, erkannte jedoch, dass es Steel war.
»Oh, Ihr seid es, Lieutenant. Ich … habt Ihr ihn? Habt Ihr …« Dann unterbrach sie sich, erinnerte sie sich doch an die Drohungen.
»Es tut mir sehr leid, Miss. Ich hätte nicht kommen sollen. Es ist nur so, dass … vergebt mir, aber ich war sehr in Sorge. Ich fühle mich verantwortlich für das, was geschehen ist.«
Sie brachte ein kleines Lächeln zustande. »Ihr? Wieso solltet Ihr dafür verantwortlich sein?«
»Ich hätte Wachen einteilen müssen. Hätte Männer in die Schänke beordern müssen, denen ich vertraue. Wer weiß, was alles hätte passieren können, wäre Major Jennings nicht gekommen.«
Als Jennings’ Name fiel, weiteten sich Louisas Augen. Aus ihren eben noch leicht rosigen Wangen
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