Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
Major den Marktplatz überquerte, um seine Truppe zu inspizieren. Wie immer schlich Stringer wie ein treuer Hund hinter seinem Herrn her. Es war sieben Uhr in der Frühe. Normalerweise wären sie viel früher aufgebrochen, um die Hitze der Mittagszeit zu meiden. Aber die Vorfälle der vergangenen Nacht hatten Steel bewogen, den Aufbruch zu verschieben. Das lag nicht nur an Kretzmers Verbrechen. Denn offenbar war es vielen Soldaten gelungen, sich mehr Bier zu verschaffen, als ursprünglich vereinbart gewesen war. Und obwohl nur wenige Männer richtig betrunken waren, stellte sich alsbald heraus, dass die geistig umnebelten Zecher mit ihren morgendlichen Pflichten und Aufgaben nicht zurechtkamen.
Trotzdem hatte Steel beschlossen, dass der Treck in den kommenden zwei Stunden aufbrechen würde. Sie könnten an diesem Tag bis zu sechs Meilen schaffen. Steel war gerade auf dem Weg zu seinen Grenadieren auf der Weide, als er es sich noch einmal anders überlegte. Vielleicht war noch Zeit für etwas anderes. Etwas, das schon länger keinen Platz mehr in seinen Gedanken gefunden hatte.
Er hielt sich nicht für einen religiösen Menschen. Natürlich war er in einem gottesfürchtigen Umfeld der schottischen Episkopalkirche aufgewachsen; die Menschen dort gingen in die Kirche und achteten den Sonntag. Aber Steel hatte das Religiöse abgeschüttelt, als er älter wurde. Dennoch, wenn er auf dem Schlachtfeld war und die Bleigeschosse durch die Luft zischten, glaubte Steel – wahrscheinlich wie alle Soldaten –, dass etwas oder zumindest jemand über ihn wachte. Vielleicht seine vor langer Zeit verstorbene Mutter oder ein Wesen, das andere Menschen als Schutzengel bezeichneten.
Er drückte die schmale Kirchentür im Portal der Basilika auf und betrat das Gotteshaus; die Absätze seiner Stiefel klackten auf dem glänzenden Kachelboden. Mit rasselndem Degen an der Seite schritt Steel auf den Altar zu und blieb unwillkürlich stehen, als sein Blick auf die Muttergottesstatue fiel. Es handelte sich um eine Pietà: Maria hielt ihren toten Sohn im Arm.
Eine Frau und ein toter Mann. Wie oft hatte er das schon nach einer Schlacht gesehen, wenn die Ehefrauen oder die Frauen aus dem Tross auf dem blutigen Feld nach ihren Ehemännern oder Geliebten suchten, gekrümmt vor Gram und Schmerz. Und wenn sie den geliebten Menschen dann tot oder sterbend vorfanden, hielten sie ihn im Arm – wie die Muttergottes den toten Christus. Steel hatte die Frauen schluchzen gehört, hatte die Klagelaute noch im Ohr und wusste, dass der Schmerz sich in dieser Pietà manifestierte. Das Leid der ganzen Welt schien in dieser Darstellung zusammengefasst zu sein.
Er trat näher an die Statue heran und fragte sich, was ein Kirchenbesucher nun tun müsste. Er hatte vergessen, wie man betete, wie man kniete. Ja, das war es. Den Degen mit einer Hand umschlossen, beugte er ein Knie, sank langsam auf den kalten Steinboden und senkte den Kopf. Es fühlte sich richtig an. Aber was sollte er jetzt sagen, nach all den Jahren? Doch dann begann er, halb flüsternd, Worte zu sprechen, ohne groß nachzudenken.
»Gütiger Gott, wenn es dich gibt, ich bitte dich nicht um ein Wunder. Beschütze mich im Kampf, der uns bevorsteht, und halte deine schützende Hand auch über meine Männer. Schau wohlwollend herab auf Marlborough. Segne seinen Sieg und lass uns am Leben. Wenn ich sterben muss, dann lass es schnell geschehen. Lass mich nicht verstümmelt oder geblendet als Invalide zurück. Wenn es dich gibt, dann bete ich, dass du uns den Sieg schenkst.«
Steel hörte, dass die Kirchentür knarrend aufgezogen wurde. Da er von keinem seiner Männer in Gebetshaltung gesehen werden wollte, stand er schnell auf. Das Ende der Degenscheide schabte über den steinernen Boden und erzeugte einen metallenen Klang, der sich an den Säulen brach. Er sah, dass Slaughter ihm mit einem Lächeln auf den Lippen entgegenkam.
»Tut mir leid, Sir, ich wusste nicht, dass Ihr ein gottesfürchtiger Mann seid.«
»Bin ich nicht, Jacob. Aber es gibt Zeiten, da sind Worte wichtiger als nichts, oder? Schätze, wir haben im Moment eine Portion Glück nötig. Im Augenblick würde ich auf eine Hasenpfote schwören, wenn Ihr eine bei Euch hättet.«
»Glück, Sir? Nun, wenn Ihr es so nennen wollt. Ich spreche da lieber von Schicksal. Oh, ich stimme Euch zu, dass es da etwas gibt, das größer ist als wir. Leuchtet ja auch ein. Aber all das hier?« Er deutete auf die Gemälde, auf denen Heilige zu sehen
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