Steels Ehre: Jack Steel und die Schlacht von Höchstädt 1704. Historischer Roman (German Edition)
kaum breiter war als eines der Fuhrwerke. Doch als sie die Stadt schließlich betraten, war immer noch niemand zu sehen. Langsam schritten die Soldaten über das Kopfsteinpflaster und erreichten das Herz der Stadt.
Auch Bachweidens Mittelpunkt bestand aus einem zentralen Platz mit repräsentativen Häusern der wohlhabenderen Bürger und einer Kirche. Während Steel und seine Männer in die Gassen beim Markt spähten, schlug die Kirchturmuhr. Es war Nachmittag, und für gewöhnlich kehrten zu dieser Stunde die Händler und Arbeiter zu ihren Familien zurück. Aber hier waren keine Händler zu sehen, keine Familien, keine Kinder.
Allerdings deutete bislang nichts auf gewaltsame Übergriffe oder gar ein Massaker hin. Nirgends bellte ein Hund. Nichts rührte sich. Steel wandte sich an Slaughter.
»Was haltet Ihr davon, Jacob?«
»Würde sagen, die Menschen haben die Stadt verlassen, Sir. Hier ist niemand mehr. Das spür ich. Sind alle abgehauen. Haben Angst vor den holländischen Dragonern, wenn Ihr mich fragt. Dieser Ort riecht nicht nach Tod, Sir. Wenn Ihr wisst, wie ich’s meine.«
Steel nickte. Der Sergeant hatte recht. Hier hing nicht der charakteristische Geruch des Todes in der Luft wie in Sattelberg, dieser honig-süßliche Leichengeruch. Nichts deutete hier auf ähnliche Gräueltaten hin.
»Wir können nicht jedes Haus durchsuchen. Ich sage, wir bleiben hier, stellen Wachen an jeder Straße auf, die in die Stadt führt, und wechseln die Posten jede Stunde. Die Männer können abwechselnd im Fluss baden. Aber sie sollen sich bei der Brücke aufhalten. Und sorgt dafür, dass die Pferde genug Wasser kriegen. Die Wagen bringen wir zur Hauptstraße. Sagt den Männern, sie sollen sich eine Unterkunft für die Nacht suchen, aber keine Plünderungen, verstanden? Oh, noch etwas, Slaughter. Sagt Mr. Williams, die Kutsche mit dem Gefangenen kommt hier auf den Marktplatz. Ich will diesen bayerischen Bastard im Auge behalten.«
Während Slaughter zu den anderen Soldaten lief, setzte Steel sich auf den Rand des Stadtbrunnens. Er legte die Waffe zur Seite und rieb sich die Augen. Seine Mission war fast zu Ende. Wenige Stunden trennten sie noch von der Armee. Schon bald würde für ihn und seine Männer wieder Normalität einkehren. Und dann würden sie in dem lang ersehnten Kampf endlich wieder auf die Franzosen treffen. Wäre das das Ende des Krieges? Er bezweifelte es. Jedenfalls hoffte Steel, es würde weitergehen, wenn man eine solche Hoffnung überhaupt nähren durfte. Aber der Krieg war nun einmal seine Welt. Krieg weckte neue Lebenskräfte in ihm, und er wusste, dass es immer so sein würde.
Er dachte darüber nach, was aus ihm geworden war und woher er stammte. In seinen Gedanken war er bei dem Haus seiner Eltern und der Farm und dem Glück, das ihn beseelte, bis seine Mutter starb. Damals war er erst elf Jahre alt gewesen, hatte erwachsen werden wollen und sollte nach Eton gehen. Der Tod seiner Mutter hatte die meisten seiner Hoffnungen zunichte gemacht. So war es ihm jedenfalls vorgekommen. Aber es war nicht ihr Tod allein, der seine Familie in den Ruin stürzte. Das erwartete Vermögen seines Onkels blieb aus, und so kam es, dass Steel nicht auf die teure Schule konnte, sondern unter einem erbärmlichen Privatlehrer litt.
Später stieg er als Angestellter bei der Anwaltskanzlei seines Onkels in Edinburgh ins Berufsleben ein. Er war sechzehn, als er zur Arbeit ging, und aus dieser Welt hatte ihn letzten Endes Arabella gerettet. Und vor der Versuchung. Denn, angestiftet von den Kollegen, hatte Steel damit begonnen, die Rechnungsbücher zu fälschen und kleinere Beträge zu veruntreuen, um sich ein paar Vergnügungen leisten zu können. Arabella hatte ihn vor dem unausweichlichen Schicksal bewahrt, das ihn der Betrügereien wegen ereilt hätte. Zumindest dafür müsste er ihr dankbar sein. Sie hatte ihm die Augen geöffnet für die Schönheiten des Lebens. Hatte ihm in Erinnerung gerufen, dass es Werte gab, für die es sich lohnte zu kämpfen: Liebe, Ehre, Rechtschaffenheit.
Und jetzt gab es etwas anderes, für das er kämpfte. Er kämpfte für die Armee. Seine Armee. Jede Schlacht stärkte diese Armee, auf die das neue Britannien – Queen Annes Britannien – wahrlich stolz sein konnte.
Mochten Männer wie Marlborough auch ihren Anteil am Aufbau der Armee haben, Steel ahnte, dass es schlachterprobte Offiziere wie er waren, die dem Heer Leben einhauchten. Sie standen am Beginn einer neuen Ära, und Steel
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