Stefan Bonner und Anne Weiss
Generation Doof mischen unser offiziell attestiertes Halbwissen gerne mit ungezwungener Lässigkeit. Und wir sind mit uns durchaus zufrieden. Ich will so prollen, wie ich will – du darfst! Das scheint der Wahlspruch von vielen zu sein. Überraschenderweise kommt man damit offenbar ganz gut durchs Leben, zumindest so lange, wie gestresste Lehrer, überforderte Eltern oder die Öffentlichkeit ein oder beide Augen zudrücken.
»Ich bin kein bisschen sozial und auch nicht kollegial, ich gehe niemals zur Wahl, denn mir ist alles egal.« Wise Guys
Mulmig wird anscheinend nur den Arbeitgebern, die mit der Ge neration Doof schon ihre eigenen fragwürdigen Erfahrungen gemacht haben. »Zunehmend Sorgen bereiten uns die vermehrt auf-tretenden Mängel im Sozialverhalten«, beklagte der Präsident der Handelskammer Hamburg, Karl-Joachim Dreyer im Hamburger Abendblatt. Für ihn ist erwiesen, dass mangelnde Umgangsformen den Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Job-Einstieg erschweren – und nicht nur das: Ihr schlechtes Benehmen macht auch den Ausbildern, Vorgesetzten und Kollegen die Arbeit nicht gerade leichter. Mit der Einschätzung mag Dreyer durchaus recht haben, wenn man bedenkt, dass viele Berufe noch eine eher spie- ßige Meinung über tadellose Manieren und ein gepflegtes Äußeres haben. Doch auch das Erscheinungsbild ist eine weitere Großbaustelle der Generation Doof:
10:00 Uhr, ein Konferenzraum. In der wöchentlichen Abteilungskonferenz ist das Wichtigste be reits besprochen. Unser Chef – ein Befürworter von Anzug und Flie ge – möchte noch kurz etwas loswerden. Das kurze Aufbegehren der Mannschaft wegen des defekten Milchaufschäumers an der Kaffeemaschine übergeht er elegant. »Ich werde den Gedanken mitnehmen«, sagt er dazu nur, und die Beschwerden ersticken im Keim. Dann räus pert er sich. »Ich möchte Ihnen nun gerne unsere neue Praktikantin vorstellen, Frau Grützner.«
Die Mannschaft klopft sich wie üblich die Fingerknöchel an den Tischen arthritisch.
»Frau Grützner, vielleicht möchten Sie selbst ein paar Worte …« Er sieht sich ratlos in der Runde um. Frau Grützner ist nicht auf-findbar.
In diesem Moment springt ohne Vorwarnung die Tür auf. Eine junge Dame stürmt mit Handy am Ohr herein. »Ruf dich später wieder an«, bescheidet sie ihrem Gesprächspartner. »Tut mir echt leid«, meint sie dann.
Die Schlipsfreunde starren sie an.
Die Praktikantin trägt eine zerschlissene Cargo-Hose, karier-te Chucks und ein knappes schwarzes T-Shirt, das einen unver-bauten Blick auf ihren gepiercten Bauchnabel und rückwärtig auf ihr Steißtattoo freigibt. Das komplette Tussiprogramm. Die erste Amtshandlung von Frau Grützner ist es, wieder nach Hause zu fah ren und sich auf Weisung des Personalchefs umzukleiden.
»Ich finde, für Hüfthosen sollte es einen Berechtigungsschein geben.«
Userin akasha in einem Internetforum Galt die Entblößung geschlechtsteilnaher Körperpartien in frühe ren Zeiten noch als eindeutiges Balzritual, so gehört sie heute zur Bekleidung unserer Generation mit dazu. Nabelschau hat heute einen anderen, sehr direkten Sinn. Sie soll sexuelle Aktivität und Attraktivität signalisieren, indem sie unter anderem den Blick auf ein kostspieliges Accessoire freigibt: den Steißadler, das klassische Arschgeweih, auch Schlampenstempel oder Tussilenker genannt. Und die Mode rund um das Hautbild zeigt, dass wir frei sind: bauchfrei, hinternfrei, geschmacksfrei. Ab ins Studio und nix wie drauf mit dem Scheiß auf den Steiß. Heute haben wir schamfrei!
Das weit verbreitete Fehlen eines kleidungsästhetischen Bewusstseins ließe sich vielleicht noch verschmerzen, wenn einem dabei nicht immer wieder ein anderes Manko unserer Generation vor Augen geführt würde. Denn allzu häufig stecken in den knapp geschnittenen Klamotten Figuren, die weder stromlinienförmig sind noch zum Outfit passen – was uns fast zwangsläufig daran erinnert, dass der letzte BigMac noch nicht lange verdaut ist. Zudem ist diese Mode gesundheitsschädlich, aber das haben wir ja schon lange geahnt. Der Hamburger Arzt Prof. Dr. Volker Ragosch warnt vor der Bauchfreiheit: »Bei dieser Kleidung ist die Nierengegend ungeschützt, und dadurch können schmerzhafte Nierenbeckenent zündungen entstehen.« Wer schön sein will, muss leiden, das gilt auch für die Generation Doof. Wie lange dauert es noch, bis wir uns hier den Nabel vom Schönheitschirurgen veredeln lassen, wie dies in den USA schon der Fall
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