Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
die Nietzsche liebte« und schmückte seinen Briefkopf mit dem Lagarde-Zitat: »Gäbe es wenigstens Verschworene unter uns, einen heimlich offenen Bund...« 102 Innerhalb weniger Jahre wurde Diederichs zur ersten Adresse für alles, was mit der sogenannten Lebensreformbewegung zu tun hatte. 1908 gründete er den Sera-Kreis, in dem er das Lebensgefühl eines Großteils der bürgerlichen Jugend durch Sonnenwendfeiern und anderes germanisches Brauchtum zu ritualisieren suchte; für die Männer entwarf er eine Phantasietracht im Stil mittelalterlicher Scholaren, die Mädchen trugen Blumenkränze im Haar. Was Diederichs anstrebte, so Friedrich Wilhelm Graf, war nichts weniger als »eine religiöse Kulturrevolution«. 103
Hier wurde ein weltanschauliches Umfeld geschaffen, in dem George gut aufgehoben gewesen wäre. Allerdings hätte er bei Diederichs niemals eine exklusive Stellung erlangen können. Zwar schwebte auch ihm so etwas vor wie eine religiöse Kulturrevolution, aber zum einen wollte er das Heft selber in der Hand behalten, zum anderen war ihm wohl die Strategie des Verlegers, der Sendungsbewusstsein geschickt mit kaufmännischen Interessen zu verknüpfen wusste, nicht ganz geheuer. »Es wurden förmlich weltanschauungen von verlags wegen gegründet«, hieß es 1911 im Jahrbuch für die geistige Bewegung mit unverkennbarer Anspielung auf Eugen Diederichs und den Sera-Kreis abfällig , und als auch damit kein Geld mehr zu verdienen gewesen sei, »ging es an das stiften von religiösem leben«. 104
Anders als Diederichs gehörte Bondi zu jenen nüchtern kalkulierenden Kaufleuten, bei denen grundsätzlich Bedenken überwogen. 1899 war er skeptisch, dass die von George und Wolfskehl vorbereitete
Anthologie Deutsche Dichtung ein verlegerischer Erfolg werden würde, und weigerte sich, den ersten Band, eine Auswahl aus Jean Paul, zu veröffentlichen. George löste die »schwierigkeiten die beinah den verlagsbund zerrissen hätten«, 105 indem er die Anthologie auf eigene Rechnung im Verlag der Blätter für die Kunst erscheinen ließ; erst 1910 konnte sich Bondi zu einer öffentlichen Ausgabe der Deutschen Dichtung durchringen. 1903 hätte George gern einen Sammelband der von ihm übersetzten zeitgenössischen europäischen Dichter veranstaltet; auch diese Publikation schien Bondi wenig lukrativ. George bat daraufhin Wolfskehl, beim Insel-Verlag vorzufühlen, nahm von dieser Idee aber sofort wieder Abstand, als ihm Ende des Jahres ein Verlagsprospekt unter die Augen kam: »ein klebeheftchen mit so schamlosen so unsäglich schmierigen anpreisungen dass dagegen ein S-fischer noch vornehm erscheint. Es ist ein zeichen dafür dass den schreibenden menschen von heute das lezte gefühl für adel und würde abhanden kam.« 106
George hatte es zur Vertragsbedingung gemacht, dass seine eigenen Bücher und die seiner Freunde von den übrigen Veröffentlichungen des Bondi Verlages deutlich zu unterscheiden sein müssten. Zu diesem Zweck entwarf Lechter eine gotische Monstranz mit dem Eindruck »Blätter für die Kunst«, die als Signet auf allen George-Publikationen prangte. Mangelnder verlegerischer Mut auf der einen, der Wunsch des Autors nach Sonderstellung auf der anderen Seite führten dazu, dass sich George die Erstveröffentlichung seiner Werke vorbehielt. Keines seiner Hauptwerke der nächsten fünfzehn Jahre, weder der Teppich noch der Ring , weder der Prosa-Band Tage und Taten noch das Maximin- Gedenkbuch noch die Dante-Übertragungen, erschien als Erstausgabe bei Bondi. Mit den Marktmechanismen vertraute Zeitgenossen wie Rudolf Borchardt wollten hierin eine raffinierte Doppelstrategie erkennen, mit deren Hilfe George die Sehnsucht des Publikums nach Exklusivität bedient habe. Die Forschung hat sich dieser stark vereinfachenden Lesart angeschlossen. Ab 1898 hätten George wahlweise zwei Verlage zur Verfügung gestanden: der kommerziell orientierte Bondi Verlag und der Verlag der Blätter für
die Kunst als eine Art Autorenverlag, dem es aufgrund höchst subtiler Vertriebstechniken gelungen sei, die Nachfrage so lange zu steigern und das seltene Buch so selten zu machen, dass der neugierig gewordene Leser, der Gefahr lief, leer auszugehen, am Ende gern mit den schlichten (und relativ preiswerten) Bondi-Ausgaben vorlieb nahm. 107
Als die öffentlichen, das heißt im Buchhandel regulär zu erwerbenden Ausgaben seiner frühen Gedichtbände im November 1898 bei Bondi erschienen, verwendete George zunächst viel Sorgfalt
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