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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Anton Kippenberg, George bald weit hinter sich. Allein der 1912 als Band eins der Insel-Bücherei erschienene Cornet brachte es bis 1934 auf sensationelle 500 000 Exemplare – das Doppelte sämtlicher Werke Georges zusammen. 116 In späteren Jahren liebäugelten auch unter den Freunden Georges manche mit dem Dichter der Duineser Elegien , Melchior Lechter zum Beispiel oder Max Kommerell, sogar Friedrich Gundolf, der vier Wochen vor seinem Tod 1931 einen öffentlichen Vortrag über ihn hielt. Wolfskehl war damit nicht einverstanden. »Rilke ist ganz einfach nicht das Gewicht, das man heute, in der Zeit Georges, gegenstellen kann«, mahnte er den lebenslangen Freund in seinem letzten Brief. »Eine Zeit, die George hat, besitzt eine unverrückliche Norm, die gewiss einmal geschichtlich werden wird, die aber heute nicht Geschichte ist, sondern Geschehnis.« 117

    1914

II Die Sendung 1899-1914
    Denn jetzt in der letzten Not müssen wir selber das Wunder werden.
    Karl Wolfskehl, 1910

1 Das schöne Leben
    In Friedrich Gundolfs 1916 erschienener Goethe-Biographie, der mit 50 000 verkauften Exemplaren erfolgreichsten Publikation des George-Kreises, heißt es einmal am Rand, dass Goethe »in der Phantasie der Völker unter dem Bild zweier völlig verschiedener Altersstufen, beinah als eine doppelte Erscheinung weiterlebt«. Während sich der Ruhm fast aller geschichtlichen Persönlichkeiten in der Regel mit einem bestimmten Lebensalter verbinde und sie entweder als Jünglinge, auf dem Höhepunkt ihres Schaffens oder als Greise im kollektiven Gedächtnis fortlebten, denke man bei Goethe »entweder an den jungen oder an den alten oder an zwei verschiedene«. 1 Wäre Gundolf gefragt worden, wie es sich denn mit Stefan George verhalte, er hätte wahrscheinlich verlegen geantwortet: Endgültiges dazu könne erst beim Tod eines Menschen gesagt werden.
    In welchem Alter wir uns die Dichter vorstellen, deren Werke wir lesen, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Porträts wir vor Augen haben. Die Bilder des jungen Goethe von Tischbein waren immer genauso populär wie das Gemälde des alten von Joseph Stieler oder die Büste von Christian Daniel Rauch. Die Fotografien, die bald nach der Jahrhundertwende von Stefan George in Umlauf kamen, verrieten dem Betrachter allerdings nur wenig über das Alter des Abgebildeten. Dieser Mensch war weder jung noch alt. Das hatte viel mit Georges Physiognomie zu tun, die ihn in jeder Phase seines Lebens älter wirken ließ, als er jeweils war, bis er am Ende auf manchen Altersfotos aussah wie eine greise Frau. Seine Getreuen hielten diese scheinbare Alters- und Geschlechtslosigkeit für den Ausweis höheren Menschtums und reichten die Fotos wie Ikonen weiter.
    Alle Eigenschaften und Merkmale, die Rückschlüsse auf das Privatleben
ermöglicht hätten, wurden im Atelier von Jacob Hilsdorf, Georges Leibfotograf in Bingen, nach und nach ausgeblendet. Die Bedeutung des Porträtierten sollte sich nicht über zeitbedingte Accessoires erschließen. Thomas Mann mit Zigarre, Thomas Mann mit Hut, sorgfältig arrangierte Schreibutensilien, die Brille: All das ist im Fall Georges undenkbar. Weil die Heldenverehrung allzu oft »mit originellen surrogaten« vorliebnehme, würde Eigenart leicht für Charakter gehalten, schrieb Gundolf 1912 in einem Essay über Vorbilder. Jede Form von Individualismus als »kult des besondern menschen um seiner besonderheit willen« sei jedoch abzulehnen. Nur wer ein Ganzes vertrete, dürfe als Held verehrt werden. 2
    Im Zuge seiner allmählichen Monumentalisierung geriet George auf den Hilsdorf-Fotos immer mehr zum Darsteller einer übernatürlichen Person. Der Dichter als Seher und Künder, zeitenthoben, trug keine Zweireiher mit breiten Aufschlägen mehr, sondern einen hochgeschlossenen schwarzen Rock mit Stehkragen und verdeckter Knopfleiste. Das Kleidungsstück, eine Mischung aus Joppe und Soutanelle, Priester- und Soldatenrock, etablierte sich später als eine Art Amtskluft des George-Kreises. Statt der üppig geschlungenen bunten Krawatten genügte jetzt ein hoher weißer Kragen mit einfacher Halsbinde – kein Zylinder, kein Gehstock, keine Uhrenkette mehr. Gruppen- und Zufallsaufnahmen nur noch in besonderen Fällen. Eigentlich sei Georges Mienenspiel weich gewesen, erinnerte sich Max Dessoir, »der Blick mehr fragend als gebietend«. 3 Das mit Hilfe kühl kalkulierter Studioporträts von der Jahrhundertwende an verbreitete Bild Georges aber intendierte das Gegenteil: das

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