Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
herrlicher Gewinn gemacht.« 92 Die Art
und Weise, wie Simmel die junge Geliebte, die gerade ihren 21. Geburtstag gefeiert hatte, dem Dichter ans Herz legte, erstaunt nicht weniger als die Selbstverständlichkeit, mit der er nach nur vierwöchiger Bekanntschaft mit George bereits an gemeinsame Werte appellierte.
Als Simmels 1901 nach Westend zogen, mietete sich Gertrud Kantorowicz nur ein paar Straßen weiter ein, im Haus des Bildhauers Wolf in der Ebereschenallee. Auch George wohnte dort Anfang des Jahrhunderts einige Male, wenn er nicht bei Lepsius unterkam, die 1903 ein Haus in der Ahornallee erworben hatten. Für Gertrud Kantorowicz wurde George, wie Simmel es prophezeit hatte, zu einem ihr weiteres Leben prägenden Erlebnis. George nannte die zierliche, kluge und intensive Frau gern seine »Huldin« oder auch »Dottoressa« und veröffentlichte 1899 elf Gedichte von ihr in den Blättern . Es waren die einzigen Gedichte einer Frau, die je dort erschienen, und sie erschienen – bezeichnenderweise – unter dem männlichen Pseudonym Gert. Pauly. 93 Das Geschlecht spielte eben doch eine wichtige Rolle.
Das letzte direkte Zeugnis der Freundschaft zwischen Georg Simmel und Stefan George ist ein Vierzeiler vom Sommer 1914. Im Frühjahr hatte Simmel endlich eine ordentliche Professur erhalten – im fernen Straßburg. Am 26. Juli, wenige Tage vor Ausbruch des Krieges, berichtete Ernst Morwitz, einer der jüngeren Freunde Georges, er habe Simmel »unter dem Stadtbahnbogen in der Friedrichstraße« getroffen. Simmel habe ihm »ein langes Kolleg über seine Wirkung in Strassburg gehalten, er betonte seine – im Gegensatz zu Dir – auf das Weiterbringen der Gesamtheit gerichtete Tätigkeit und war rührend«. 94 Stolz auf die neue Professur, schloss Simmel aus seinen Hörerzahlen auf eine große Breitenwirkung und stellte diese selbstbewusst Georges begrenztem Wirken gegenüber. Das konnte und wollte dieser so nicht hinnehmen. Er hielt jeden akademischen Unterricht für unverbindlich, solange zwischen Lehrer und Schüler kein persönliches pädagogisches Verhältnis bestand. Deshalb ging seiner Meinung nach von einem Hörsaal überhaupt keine Wirkung aus. Die
beiläufigen Bemerkungen, die Simmel gegenüber einem seiner Freunde am Bahnhof Friedrichstraße hatte fallen lassen, beantwortete George mit einem knappen Vierzeiler, in dem er Simmels Wirkungsanspruch zurückwies:
Seit dreissig jahren hast du gepredigt vor scharen
Wer steht nun hinter dir? ›Kein einzelner – die welt.‹
O lehrer dann hieltest du besser die türen geschlossen
Du hast für nichts gewirkt als für ein blosses wort. 95
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Bei seiner Lesung im Haus Lepsius hätte George gern auch Theodor Dienstbach begrüßt, den Besitzer der Gerberei in Bingerbrück, einen Bekannten der Familie, der zu den frühen Lesern der Blätter für die Kunst gehörte und Georges Werdegang mit Wohlwollen verfolgte. Obwohl George ihn im Oktober 1897 noch einmal herzlich aufforderte, konnte sich Dienstbach nicht zu einem »seitensprung nach Berlin« entschließen. 96 Er steckte bereits in den Vorbereitungen einer großen Italienreise, die er im Frühjahr unternehmen wollte – und zu der er George einlud. Am 24. März stiegen sie in Bingerbrück in den Zug. Als Reiseziele standen zunächst wohl die oberitalienischen Städte auf dem Plan, die George von früheren Reisen bereits kannte. Ende März scheint es zu Meinungsverschiedenheiten über den weiteren Reiseverlauf gekommen zu sein; jedenfalls fuhr George am 1. April von Genua ohne Dienstbach nach Rom.
Obwohl das Zimmer in der Via Babuino verwanzt war und er es mit Eimer und Schrubber erst einmal reinigen musste, blieb George etwa vier Wochen. Öfters besuchte er den Maler Ludwig von Hofmann, auf den er durch Richard Perls aufmerksam gemacht worden war und der in Rom ein eigenes Atelier besaß. Die Ideale der neuen Bewegung, die in der Dichtung an die Namen George und Hofmannsthal geknüpft seien, hieß es einige Jahre später in einem Werbeprospekt der Blätter , würden in der bildenden Kunst vertreten von
Ludwig von Hofmann, Reinhold Lepsius und Melchior Lechter. Dass der 1861 in Darmstadt geborne Hofmann an erster Stelle genannt wurde, entsprach sowohl Georges persönlicher Wertschätzung als auch der Popularität Hofmanns, dessen »visionäre Bilder eines besseren und schöneren Lebens« zu den begehrtesten Werken des Jugendstils zählten. 97 Zwei Ludwig von Hofmann gewidmete Gedichte im Teppich des Lebens lassen
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