Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
kann: handle und die Welt ist dein!«, hätten ihm die Versucher ins Ohr gesäuselt,
wird es in kaum verhüllter Anspielung an Matthäus 4 später bei Wolters heißen, aber der Meister sei standhaft geblieben. 82
Solange nicht klar war, in wessen Namen und auf wessen Befehl die Welt befreit werden sollte, und ehrgeizige Intellektuelle wie Klages die ganze Sache noch an sich reißen konnten, war George zu keinem Risiko bereit. Andererseits aber wurde ihm durch den sich zuspitzenden Konflikt die Unausweichlichkeit seiner Situation bewusst. Gemeinsam waren sie in neue, unbekannte Räume vorgestoßen. Wollte George am Ende nicht als Verlierer dastehen, der sich heimlich vom kosmischen Acker gemacht hatte, würde er bald eine eigene Lösung präsentieren müssen. Zehn Jahre nach den Ereignissen resümierte George im Gespräch mit Wolters:
Dadurch entstand jene Atmosphäre im München von 1899 – 1903, welche alle, die hineintraten, ja diese ganze Stadt zu einem Orte neuer Trächtigungen machte und eine Aufwühlung aller erstarrten Lebenselemente innerhalb der bürgerlichen Welt hervorrief, deren Erlebnisse der Deutung des Verstandes spotteten, aber in jedem, der noch ursprünglicher Erschütterungen fähig war, eine unerhörte Sicht ins Lebendige, eine tägliche Bereicherung des Erlebens und über den Kreis hinaus eine Schaffung von Atmosphäre erzeugte, in der das grosse Erlebnis des Maximin erst atmen konnte. 83
Maximin war Georges Antwort auf die Herausforderungen von Klages und Schuler: In ihm präsentierte George das ersehnte, in Hunderten von Jahren einmal auftretende »Sonnenkind«. Mit Maximin sei »der Traum Schulers in eine Wirklichkeit umgesetzt« worden, schreibt Morwitz, dieser selbst habe sie »jedoch nicht zu erkennen und auszudeuten« vermocht. 84 Wie sollte er auch? Schließlich erhob George den Anspruch, in Maximin jene beiden Prinzipien zu versöhnen, die Nietzsche als »dionysisch« und »apollinisch« streng geschieden hatte und die seither als unvereinbar galten. Maximin war »eines zugleich und Andres, Rausch und Helle«. 85 Das Versprechen einer solchen Synthese aus kosmischen Schauern und hellenischem Staunen aber bedeutete aus der Sicht von Schuler und Klages nichts anderes als den endgültigen Sieg des Geistes, den Sieg des Lichts über die Finsternis.
Im April 1902 hatten George und Klages gemeinsam mit Verwey in München einen Ringkampf besucht. Das offenbar im Anschluss an die Vorstellung entstandene Gedicht »Weh! sie kämpfen mit licht« thematisierte die Lichtscheu der Kosmiker. 86 Klages litt damals infolge von Experimenten zur Synthese von Menthol an einer lästigen Augenentzündung, die ihn extrem lichtempfindlich machte. »Der Kampf« beschreibt ein Ringen mit tödlichem Ausgang. Ein Höhlenmensch, ein primitiver Unhold, fühlt sich durch einen »schönlockigen gott« in seiner Gruft provoziert und fordert ihn zum Kampf. Der Kampf wird mit ungleichen Mitteln geführt: »Weh mir, wie trifft / Aus seinem auge mich licht!« George las das Gedicht offenbar mit großem Nachdruck bei Wolfskehl vor und überreichte Klages anschließend eine Abschrift (deren erste Strophe Klages 1917 in Handschrift und Charakter wiedergab). Unmittelbar nach dem Zerwürfnis mit Klages Ende März 1904 in den Blättern publiziert, eröffnete »Der Kampf« später den zweiten Zyklus des Siebenten Rings . In schaurig-wilden, grässlichen Bildern voller Blut und Gewalt fanden die Konflikte mit den Kosmikern hier ihren Niederschlag. Am Ende des Zyklus feierten die Unteren ihren letzten großen Sieg: »Die ihr entfuhrt / Dunkler geburt / Euer reich hat begonnen.«
Der Auftritt Maximins brachte nicht nur den Sieg des Lichts über die Finsternis. Maximin stand auch für den Sieg der Kunst über die Magie. »Setzet nicht für den Gott den götzen für den Geist das gespenst für den Seher die hexe«, rief George den »Urgrundschwärmern« zum Abschied hinterher. 87 Weil er sich trotz aller Verlockungen nicht von seiner Sendung als Dichter hatte abbringen lassen, wurde er am Ende mit dem Erscheinen des göttlichen Kindes belohnt:
Du kamst am lezten tag
Da ich von harren siech
Da ich des betens müd
Mich in die nacht verlor:
Du an dem strahl mir kund
Der durch mein dunkel floss 88
George ließ das obskure Schattenreich Schulers jetzt endgültig hinter sich, der Schwabinger Mummenschanz diente ihm fortan nur noch als Kulisse für den Auftritt Maximins. Dabei arrangierte er alles so, dass »unser brünstiges
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