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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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Realität hatten, so bestand für ihn doch kein Zweifel, dass dieser Mann eine elementare Macht darstellte, vor der man sich besser in Acht nahm.

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    Der große Krach im Winter 1903/04 entzündete sich an ein paar Wortverdrehungen. Hysterie, Klatsch und Eifersucht hatten im Lauf der Zeit eine giftige Atmosphäre entstehen lassen, in der die kleinste Unachtsamkeit schnell zu schweren Verwerfungen führte. George hatte seinem jährlichen Rhythmus entsprechend erst nach den Feiertagen nach München kommen wollen, aber am 3. Dezember erreichte ihn ein Brief Hannas, dem Karl als Postskriptum die dringende Bitte angefügt hatte, »Sie möchten diesmal so zeitig als nur möglich kommen, wirklich gleich nach den Festtagen. Ihre Anwesenheit ist nötiger denn je aus vielen Gründen. Ihr Statthalter ruft Sie!« 74
    George disponierte um und traf am 18. Dezember in München ein. Während Wolfskehl, in zwischenmenschlichen Beziehungen arglos, ja naiv, für Ränke nur bedingt taugte, hatte George ein feines Ohr und verstand es hervorragend, andere zu verunsichern und gegeneinander auszuspielen. Er sei »intrigant, bösartig, meuchlerisch«, hatte Klages bereits 1901 notiert. 75 Allerdings erwies er sich auch als besonders anfällig für Zuträgereien. »Du weißt, wie mißtrauisch er ist«, klagte Wolfskehl noch zwanzig Jahre später gegenüber seiner Frau, »und wie leicht er sich in die Ohren blasen läßt«. 76
    Für Klages zeichnete sich eine klare Frontlinie ab. Dadurch, dass er und Schuler sich näher gerückt waren, war wie von selbst der Abstand zwischen Schuler und Wolfskehl gewachsen. Würde es ihm gelingen, Wolfskehls Beziehungen zu George zu kappen, hätte er jenen endgültig isoliert und diesen ganz auf seine Seite gezogen. So etwa dürfte Klages kalkuliert haben. Im Januar 1904 wollte er George vor die Wahl stellen. Im letzten Moment habe er durchschaut, so stellte es Klages 1940 dar, dass Georges Bewegung »von einer jüdischen Zentrale« gesteuert werde. Er habe deshalb von George eine Entscheidung verlangen und ihn fragen wollen: »Was bindet Sie an Juda?« George sei diesem Gespräch jedoch ausgewichen. 77
    In Wirklichkeit ging es nicht um Georges Verhältnis zum Judentum, sondern um sein Verhältnis zur Kunst. Stand die Kunst auf seiten
des Geistes, der für Klages allerdings synonym war mit dem Judentum, oder gehorchte sie den Kräften der Seele und diente dem Rausch? Genau mit dieser Frage hatte Klages sein Ende 1901 erschienenes George-Buch ausklingen lassen. Erst jetzt wurde George klar, dass Klages die Schrift dazu genutzt hatte, sich gegen ihn abzugrenzen und eigene Positionen zu formulieren. Durch das Treiben der Kosmiker in chiliastische Taumel versetzt, glaubte George eine Zeitlang, »die neue Welt ließe sich unmittelbar durch beschwörenden Zauber ins Dasein rufen«. 78 Klages und Schuler bestärkten ihn in dieser Auffassung und suchten ihm einzureden, dass er sich nicht damit begnügen dürfe, Gedichte zu schreiben. »George hat die Kraft«, soll Schuler gesagt haben, »aber was macht er daraus? – Kunst!« Statt weiterhin einem bloßen Ästhetizimus zu huldigen, einer »Religion der Geste«, 79 solle George daran mitwirken, die von ihnen geschaute neue Religiosität in die Praxis des Alltags zu überführen. Um ein für alle Welt sichtbares Zeichen zu setzen, müsse George nichts anderes tun, als »Knaben auf offenem Markt beschlafen«. 80
    Was von George hier gefordert wurde, war nach heutigem Sprachgebrauch ein »outing«. Ob es Diskussionen hierüber tatsächlich gab, oder ob ihre Gespräche nur auf diese Frage hinausliefen: Schulers Exhibitionismus scheint George beschäftigt, vielleicht auch verunsichert zu haben. Ein schwules Happening war jedenfalls nicht das, was ihm als »Tat« vorschwebte. Abgesehen davon, dass jede öffentliche Provokation dieser Art unweigerlich ins Gefängnis, schlimmer noch, in die Psychiatrie geführt hätte, vermisste George an den Schulerschen Konzeptionen vor allem die ästhetische Komponente. Deshalb empfand er dessen Zumutungen als bedrohlichen Rückschritt. »Schuler in seiner Konsequenz ist die Elimination alles Schönen.« 81
    Auch wenn jeder die Akzente anders setzte, stimmten alle darin überein, dass etwas geschehen müsse: ein Wunder, eine »Tat«, die den Gang der Geschichte veränderte. Klages und Schuler drängten. War es nicht an der Zeit, dass George endlich sein revolutionäres Potential unter Beweis stellte? »Du bist es, der das Einmalige wirken

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