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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Karlauf
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plötzlich mit George allein. Da fühle ich mich am Arm ergriffen: »Das ist Wahnsinn! Ich ertrage es nicht! Was haben Sie getan, mich dorthin zu locken! Das ist Wahnsinn! Führen Sie mich fort; führen Sie mich in ein Wirtshaus, wo biedere Bürger, wo ganz gewöhnliche Menschen Zigarren rauchen und Bier trinken! Ich ertrage es nicht!« 62
    Was an diesem Abend passierte, dürfte sich in etwa so zugetragen haben, wie es Klages vierzig Jahre später lustvoll ausgemalt hat. Die Behauptung allerdings, dass ihm an diesem Abend schlagartig der ungeheure
Abstand zu George deutlich geworden sei und er am nächsten Tag beschlossen habe, sich von George zu trennen, gehört ins Reich der Klagesschen Legenden. Sein Groll richtete sich nämlich gar nicht gegen George, sondern gegen Wolfskehl, der sich soeben in München niedergelassen hatte und die Szene zu dominieren begann. Wolfskehl zeigte sich keineswegs »seelisch und geistig immun« gegen Schuler, sondern war im Gegenteil von dessen magischen Deutungen der Antike stark fasziniert. Sein Hang zu Rausch und Ekstase wie auch seine umfassenden Kenntnisse auf dem Gebiet okkulter Literatur ließen ihn in den kommenden Jahren für Schuler zum idealen Gesprächspartner werden. Dabei hätte er nach Schulers Überzeugung gar keinen Zugang zu urzeitlichen, kosmischen Geheimnissen haben dürfen, weil ihm als Juden das Wichtigste überhaupt fehlte: die Blutleuchte.
    Im Blut strömten laut Schuler die kosmischen Energien des Menschen zusammen, Blut war für ihn der wertvollste Besitz überhaupt, »Quell aller schöpferischen Mächte«. 63 Das Blut dachte er sich von einem Leuchtstoff durchdrungen, einer fluoreszierenden Substanz, deren unterschiedlich starkes Aufleuchten von der kosmischen Kraft ihres jeweiligen Trägers kündete. Das Leuchten war nach seiner Überzeugung jedoch nur im Blut bestimmter Personen zu finden, nämlich im Blut derer, »von denen in Zeiten des Niederganges die allgemeine Wiedergeburt zu erwarten sei«. Die höchste Konzentration an Blutleuchte werde in einem »Sonnenkind« oder »Sonnenknaben« erreicht. Ein solches Wesen trete allerdings höchst selten auf, im Abstand von Jahrhunderten. Blutleuchte lässt sich am ehesten mit dem Pneuma gleichsetzen, »das in der Gnosis als Funken von der urzeitlichen Lichtfülle gilt, den der Auserwählte im tiefsten Innern seiner Seele trägt«. 64
    Als mächtigster Feind des Blutes galt der Geist. Der Geist war, wie der Titel des dreibändigen, zwischen 1929 und 1933 erschienen Hauptwerkes von Klages lautete, der große Widersacher der Seele. Ziel aller kosmischen Anstrengungen musste es sein, die Seele aus den Fesseln des Geistes zu befreien. Geist wurde gleichgesetzt mit Vernunft
und Fortschritt, mit Kapitalismus und Zivilisation, mit dem »geschlossenen Leben« des geschichtlichen Zeitalters und – mit dem Judentum. Geist war gleichbedeutend mit dem Sieg Judas über das Blut, mit dem Sieg Jahwes über das Leben. Schulers Tiraden gegen den Molochismus, wie er in Anspielung auf den kinderfressenden semitischen Moloch das Judentum mit Vorliebe nannte, unterschieden sich kaum von den aggressiven rassistischen Stereotypen, die um die gleiche Zeit in Wien in Umlauf gebracht wurden. Klages hat Schuler noch um einiges überboten: »Der Jude ist überhaupt kein Mensch. Wir brauchen nicht hinzuzufügen, dass er natürlich auch kein Tier ist. Er lebt das Scheinleben einer Larve, die Moloch-Jahwe sich vorband, um auf dem Wege der Täuschung die Menschheit zu vernichten.« 65 Geschrieben hat er das 1903.
    Bevor Klages in diesem Jahr die antisemitische Karte spielte, um Wolfskehl loszuwerden, wollte er sich das Deutungsmonopol über Bachofens Mutterrecht sichern. Er hatte die 1861 erschienene »Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur« (so der Untertitel) im Frühjahr 1899 in einem Zug gelesen. Den Hinweis verdankte er – zu seinem ewigen Leidwesen – Karl Wolfskehl. In der Frage, welche Schlüsse aus der Kenntnis der urzeitlichen Religiosität zu ziehen seien, ließ er diesen allerdings bald weit hinter sich. Ihre besondere, die Geschicke von Schwabing auf einige Jahre bestimmende Dynamik entfalteten Bachofens Thesen vor allem dadurch, dass sich Klages wenige Monate nach der Lektüre in Franziska zu Reventlow verliebte.
    Am Ideal einer neuen, herrschaftsfreien, tendenziell auf die Gleichheit von Mann und Frau zielenden Sexualität arbeiteten damals viele. Im gleichen Jahr, in

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